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Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)

Titel: Mit Worten kann ich fliegen (German Edition)
Autoren: Sharon Draper
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Windel vorne und eine hinten auf das untere Drittel des Schneemanns gepinnt. Die Lehrerin hat sie dort gelassen. Carl kennt sich mit Windeln aus. Wenn er in seine Hosen kackt, was fast jeden Tag der Fall ist, stinkt der ganze Raum wie das Affenhaus im Zoo. Die Hilfskräfte sind jedoch total geduldig mit ihm. Sie streifen ihre Gummihandschuhe über, machen ihn sauber, wechseln seine Kleidung – er trägt immer Jogginghosen – und setzen ihn zurück in seinen Rollstuhl. Diese Hilfskräfte verdienen eine Medaille. Wir sind kein einfacher Haufen.
    Maria, die das Downsyndrom hat, ist zehn. Sie
liebt
Weihnachten und Ostern und Valentinstag und den Tag der Erde – ganz egal. Ist es ein Feiertag, dann ist Maria bereit, ihn zu feiern. Um die Hüfte herum ist sie dicklich, ein bisschen wie unser Schneemann, aber Maria redet die ganze Zeit. Es macht Spaß, mit ihr zusammen zu sein, obwohl sie darauf besteht, mich »Melly-Belly« zu nennen.
    Jedes Jahr, wenn es an der Zeit ist, den uralten Schneemann hervorzuholen, hüpft und jubelt Maria mit echter Begeisterung. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das einzige Kind in unserer Klasse ist, das sich wirklich darauf freut.
    »Es ist Zeit für Sydney, den Schneemann!«, keucht sie. »Kann ich ihm seinen Hut aufsetzen? Bitte? Bitte? Kann ich ihm meinen roten Schal geben? Sydney wird mein roter Schal gefallen!«
    Mrs Hyatt und alle Lehrer nach ihr überließen Maria immer die Verantwortung für die grünen, aus Papier ausgeschnittenen Zuckerstangen und für die lila gestreiften, aus Geschenkpapier ausgeschnittenen Sterne. Maria küsst jedes Teil, bevor sie es mit Klettband an den Schneemann hängt. Jeden Nachmittag, bevor sie nach Hause geht, umarmt sie Sydney. Und jedes Jahr, wenn es an der Zeit ist, Sydney wegzuräumen, weint sie.
    Maria hat zwar Schwierigkeiten, komplizierte Dinge zu verstehen, aber sie versteht Menschen und wie diese sich fühlen. »Warum bist du heute traurig, Melly-Belly?«, fragte sie mich eines Morgens vor zwei Jahren. Woher wusste sie, dass mein Goldfisch am Tag zuvor gestorben war? Sie umarmte mich fest und es ging mir besser.
    So wie Maria unsere Umarmerin ist, ist Gloria unsere Schauklerin. Sie wiegt sich stundenlang in der Ecke unter einer der blöden lächelnden Blumen hin und her. Die Lehrer versuchen immer, sie von dort hervorzulocken, aber sie schlingt die Arme um sich, als wäre ihr kalt, und schaukelt weiter. Ich glaube, sie ist autistisch. Sie kann einwandfrei laufen, und wenn sie etwas zu sagen hat, dann spricht sie auch. Es lohnt sich immer, ihr zuzuhören.
    »Schneemann macht mir eine Gänsehaut«, platzte sie eines Tages heraus, als es erstaunlich still im Klassenzimmer war. Dann igelte sie sich in ihrer Ecke ein und sagte nichts mehr, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen. Sie hat den Schneemann noch nie mitgeschmückt, aber wenn ein Lehrer eine CD mit Weihnachtsmusik einlegt, rollt sie sich auseinander und scheint sich zu entspannen.
    Willy Williams – ja, so heißt er wirklich – ist elf. Ich weiß nicht genau, wie seine Diagnose lautet. Er jodelt wie einer dieser Schweizer in einer Bergsteigerwerbung. Er macht auch andere Geräusche – er pfeift und grunzt und kreischt. Er ist nie und nimmer leise und kann nicht stillhalten. Manchmal frage ich mich, ob er sich im Schlaf genauso viel bewegt und genauso viele Geräusche von sich gibt.
    Wenn Sydney, der Schneemann, aus dem Karton geholt wird, in dem sie ihn den größten Teil des Jahres verstaut haben, muss die Lehrerin Willy von ihm fernhalten, weil er das wacklige Ding sonst umwerfen würde. Willy ist nicht bösartig – es ist nur so, dass seine Arme und Beine ständig in Bewegung sind. Er kann nicht anders.
    Mrs Hyatt war die erste Lehrerin, die erlebte, wie Sydney umfiel. »Warum hängst du nicht diese hellrosa Schleife an unseren Schneemann?«, hatte sie sich im ersten Jahr mit piepsiger Stimme an Willy gewandt.
    Mit wild rudernden Armen und unter Zuckungen, hatte Willy es versucht, aber die blöde rosa Schleife flog in die eine Richtung und der arme Sydney in die andere. Drei Kugeln rollten einzeln durch den Raum. Willy kreischte und pfiff. Ich glaube, ich habe gesehen, wie er außerdem lächelte. Hätte Mrs Hyatt Willy stattdessen einen Baseball gegeben, um ihn an den Schneemann zu kleben, wäre er vorsichtiger gewesen. Willy
liebt
Baseball.
    Unser Lehrer in der ersten Klasse, Mr Gross, hat gerne Ratespiele mit uns gemacht. Wenn es bei den Fragen um Schmetterlinge
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