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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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und morgen werden da noch hundert andere sein, die wir werden verdächtigen müssen. Ich mache meine normale Arbeit, die in der Überprüfung verschiedener Versionen besteht. Und du darfst darin nichts Beleidigendes für dich sehen. Du glaubst, daß ich, weil ich dich von früher gut kenne, von deiner Unschuld überzeugt sein muß, und es kränkt dich, daß ich dich nicht von der Liste der Verdächtigen streiche. Es tut mir leid, daß dich das kränkt. Aber das müssen wir beide hinnehmen. Die Situation ist wie sie ist, ich kann sie nicht ändern.«
    »Du kannst, aber du willst nicht«, widersprach Irina, die nach wie vor an der anderen Zimmerwand stand und nicht zum Tisch zurückkehrte.
    »Ich halte es nicht für nötig. Ich halte schon lange nichts mehr von den Weisheiten des Augenblicks, Irotschka. Du kannst mir glauben, daß es wesentlich einfacher für mich wäre, mich dir in die Arme zu werfen und dir zu sagen, daß ich dich seit hundert Jahren kenne und absolut überzeugt bin von deiner Unschuld. Dann wäre ich in deinen Augen eine gute Freundin, und wir würden uns jetzt nicht gegenüberstehen wie zwei unversöhnliche Feinde yor einem Duell, sondern gemütlich nebeneinandersitzen, uns an den Händen halten und mit heißen Köpfen an der Frage herumrätseln, wer denn unseren Jurij Jefimowitsch umgebracht haben könnte. Und wenn mich, Gott bewahre, irgendein Verdacht gegen dich beschleichen sollte, wären mir die Hände gebunden. Ich könnte dir keine einzige Frage stellen, weil ich ständig auf deinen fassungslosen, beleidigten Blick stoßen würde. Verdächtigst du mich etwa, glaubst du mir nicht, würde dieser Blick mich ständig fragen. Und wie sollte ich dir dann sagen, daß ich dich tatsächlich verdächtige, daß ich dir nicht glaube? Soll ich etwa meine Karriere riskieren, nur um es mir nicht mit dir zu verderben? In diesem Moment wäre das einfacher für mich, aber morgen würde ich mir deswegen die Haare raufen. Deshalb will ich an der Situation gar nichts ändern. Soll sie einstweilen so bleiben, wie sie ist. Im Moment fällt es mir schwer, mit dir zu sprechen, du bist mir feindlich gesonnen, du bist gekränkt, aber das werde ich irgendwie überleben. Dafür werde ich dann, wenn ich zweihundertprozentig von deiner Unschuld überzeugt sein werde, wissen, daß meine Überzeugung auf objektiven Fakten basiert und nicht auf blindem Vertrauen in einen Menschen, den ich irgendwann, ich betone, irgendwann vor langer Zeit gekannt habe.«
    Es entstand ein ungutes Schweigen im Raum. Nastja zündete sich noch eine Zigarette an und nahm ein paar tiefe Züge.
    »Wir können an der Situation nur eines verändern. Wenn es dir unangenehm ist, mit mir zu sprechen, werde ich jetzt gehen, und du wirst mich nicht Wiedersehen. Dann wird ein anderer Beamter dir die Fragen stellen. Aber das wird im Grunde nicht viel für dich verändern, weil man dich sowieso verdächtigen wird. Also, was meinst du, Irina? Wollen wir an die Arbeit gehen oder weiterhin auf Emotionen herumreiten?«
    Irina kam wieder an den Tisch heran und setzte sich auf einen Hocker.
    »Ich koche uns noch einen Kaffee«, sagte sie, ohne Nastja anzusehen, und schüttete gemahlenen Kaffee in die Kaffeemaschine auf dem Tisch. »Du kannst mir deine Fragen stellen.«
    »Vielleicht schenkst du mir anstandshalber ein Lächeln«, sagte Nastja scherzend, bemüht, die entstandene Peinlichkeit abzumildern.
    »Nein, das nicht gerade. Ich werde deine Fragen gewissenhaft beantworten, das verspreche ich dir, aber mit dem Lächeln wird es nichts.«
    »Bist du immer noch beleidigt?«
    »Was glaubst du?« Irina hob den Kopf und sah Nastja herausfordernd an. »Wärst du an meiner Stelle etwa nicht beleidigt?«
    »Wahrscheinlich schon«, gestand Nastja. »Gut, lassen wir es dabei bewenden. Ich bleibe bei meinem Verdacht und du bei deiner Gekränktheit. Damit müssen wir leben. Fangen wir an! Warum ist Tarassow an jenem Tag so früh ins Büro gekommen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hat er am Freitag erwähnt, daß er am Montag zeitig morgens irgendeinen Termin hat?«
    »Nein, er hat nichts dergleichen erwähnt.«
    »Hat er am Montag morgen vielleicht irgendeinen Anruf erwartet?«
    »Das ist mir nicht bekannt.«
    »Mit welchen Mitarbeitern des Zentrums hat er in den vier Tagen, die er bei euch in der Abteilung verbracht hat, Kontakt gehabt?«
    »Das ist schwer zu sagen. Hier in der Abteilung ist niemand bei ihm gewesen. Mit wem er Kontakt hatte, wenn er das Büro verließ, weiß
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