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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten
Autoren: Alexandra Marinina
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seinen Schreibtisch und umfaßte den Kopf mit beiden Händen. Er mußte nachdenken, er mußte sich konzentrieren und nachdenken. Was für eine unerwartete Wendung alles genommen hatte!
    Tarassow war tot. Das war zweifellos sehr gut. Obwohl Tarassow ihn im Grunde nicht gestört und nicht mehr im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Maschinenbau gearbeitet hatte. Aber ohne ihn war es trotzdem besser. Er war zu gescheit und kannte sich zu gut mit allem aus, was mit Bunt- und Edelmetallen zusammenhing, deshalb hätte er jeden Moment Lunte riechen können. Aber zum Glück hatte er nichts gerochen. Und jetzt würde er nie mehr etwas riechen.
    Ungut war etwas anderes. Tarassow war nicht einfach gestorben, er war ermordet worden. Und jetzt würde die Miliz nach dem Täter suchen. Wer konnte das sein? Wer hatte etwas davon, einen Mann wie Tarassow zu ermorden? Wem konnte dieser romantische Einfaltspinsel im Weg sein, der es nie geschafft hatte, sein außerordentliches, einmaliges Wissen zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen? Hatte er den Haß eines eifersüchtigen Ehemannes auf sich gezogen? Lächerlich! Hatte er Schulden bei irgendeinem Mafioso und konnte sie nicht rechtzeitig zurückzahlen? Erst recht lächerlich. Tarassow hatte sich nie im Leben auch nur einen Rubel von jemandem geliehen. Und wenn er zuletzt doch noch Wind von der Sache bekommen hatte? Hatte er womöglich seine Arbeit im Betrieb aufgegeben, um sich die Hände frei zu machen und dann diejenigen zu erpressen, die geblieben waren? Doch wenn man Tarassow aus diesem Grund umgebracht hatte, warum wußte er, Vitalij Wassiljewitsch Sajnes, dann nichts davon? Er wäre der erste gewesen, der es hätte erfahren müssen. Etwas war faul an der Sache. Tarassow hatte mit jemandem Kontakt aufgenommen und Geld für sein Schweigen verlangt. Dieser Jemand hatte ihn dann umgebracht. Doch warum hatte er den anderen nichts von Tarassows Erpressungsversuch gesagt? Normalerweise lief einer in so einem Fall aufgeregt zu seinen Komplizen, um sie einzuweihen, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie man sich nun verhalten sollte. Aber daß einer den Erpresser klammheimlich umbrachte, den Mord auf seine Kappe nahm, ohne den anderen etwas zu sagen, ohne Hilfe von ihnen zu verlangen und zu fordern, daß man seinen Anteil erhöhte, da er als derjenige, der sich die Hände schmutzig machte, das größte Risiko von allen auf sich nahm – das konnte nicht sein, das ging Vitalij Wassiljewitsch nicht in den Kopf. Nach seiner Ansicht mußte jemand, der so etwas tat, sehr schwerwiegende, weitreichende Pläne haben. Und an erster Stelle mußte er die Absicht haben, alle diejenigen zu beseitigen, mit denen er teilen mußte.
    Je länger Sajnes über die Sache nachdachte, desto mulmiger wurde ihm. Wer konnte sich so ein Spiel ausgedacht haben? Erstens derjenige, der dem Betrieb den Geldhahn abgedreht hatte, so daß die Arbeiter nicht mehr bezahlt werden konnten. Zweitens derjenige, der dem Betrieb im Warenaustausch goldhaltigen Metallverschnitt lieferte. Drittens die Firma, die diesen Metallverschnitt aufkaufte, zu einem Preis, der achtmal niedriger war als der offizielle, aber dafür mit Bargeld bezahlte, so daß man den Arbeitern dennoch ihre Löhne auszahlen konnte. Viertens derjenige, der dieser Firma die Lizenz erteilt hatte, Buntmetalle und goldhaltige Metallverschnitte ins Ausland zu verkaufen. Wer von ihnen also hatte mit Tarassow in Kontakt gestanden? In wessen Auftrag wurde er umgebracht?

ZWEITES KAPITEL
    1
    Der Duft nach frisch gebrühtem Kaffee kitzelte angenehm die Nasenwände und erzeugte im Büro der Protokollabteilung eine häusliche Atmosphäre. Die alltägliche Arbeit durfte nicht unterbrochen werden, die Reisen der in- und ausländischen Geschäftsleute durften nicht ausfallen, weil jemand aus irgendeinem Grund Jurij Jefimowitsch Tarassow umgebracht hatte. Swetlana Naumenko, Sachbearbeiterin der dritten Gehaltsstufe, empfing Besucher, der Abteilungsleiter Igor Sergejewitsch Schulgin leitete, wie gewöhnlich, die Abteilung, Irina Koroljowa bewirtete ihre einstige Kommilitonin Anastasija Kamenskaja in der Küche mit Kaffee und berichtete ihr von Tarassows kurzem Gastspiel in der Abteilung.
    Nastja hörte Irina zu, und vor ihrem geistigen Auge erschien das Bild eines unbeholfenen, aufsässigen und tölpischen Menschen, der nicht begriff, worin seine Aufgabe bestand und was für einen schrecklichen Eindruck er auf seine Umgebung machte.
    Gleich am ersten Tag hatte Tarassow
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