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Mit sich selbst befreundet sein

Mit sich selbst befreundet sein

Titel: Mit sich selbst befreundet sein
Autoren: Wilhelm Schmid
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von diesem und jenem, zuweilen auch nur ein »Remake«, führt schließlich zur Reorganisation und zu grundlegenden Reformen, vorausgesetzt, diese können refinanziert werden, denn ökonomisch droht die Rezession. Wellness sorgt währenddessen für eine Revitalisierung, Regeneration, Rekonvaleszenz des Menschen, um verloren gegangene Ressourcen wiederzugewinnen. Abgesehen von der Resignation, die sich bei manchen breit macht, erscheint die Re-Zeit jedoch auch als eine Zeit der Reflexion , des Innehaltens und Nachdenkens, der Besinnung etwa auf verloren gegangene Bindungen und Werte. Das philosophische Nachdenken über Lebenskunst selbst ist ein Versuch zur kritischen Rekonstruktion all dessen, was fürs Leben erforderlich zu sein scheint, eine vorsichtige Wiederherstellung aufgelöster Zusammenhänge, insofern eine Gegenbewegung zur Dekonstruktion, die noch mit dem Abtragen wirklicher und vermeintlicher Zusammenhänge beschäftigt ist. Die Re-Zeit ist Wiederherstellung, Wiedererinnerung, Wiederentdeckung; sie löst, für eine Weile, das Pro-Zeitalter ab, das nur die Vorwärtsbewegung kannte, nurProgress und Progression, Programme, Prognosen, Projekte, Prospekte, Prozesse, Profite, Produkte, Produzenten, Produktivität und Profanität: Zeit einer, rückblickend gesehen, naiven Moderne. Pro und Re : Die Moderne wird zur Schaukelbewegung zwischen zwei Vorsilben.
    Das Resultat der Re-Zeit kann eine Modifikation der Moderne sein, und die Lebenskunst kann sich als Teil der Arbeit daran verstehen. Sie begibt sich auf die Suche nach dem »richtigen Leben im falschen«, und sie ist ein antinihilistisches Projekt – vorausgesetzt, es erscheint erstrebenswert, sich nicht im Nihilismus einzurichten. Einiges an der Ausrichtung des modernen Lebens könnte grundsätzlich »falsch« sein: Falsch könnte es sein, religiöse Fragen für erledigt zu betrachten, politische Rechte ein für alle Mal für gesichert zu halten, ökologische Zusammenhänge in desaströsem Ausmaß zu vernachlässigen, der ökonomischen Rationalität eine unangemessene Bedeutung zuzumessen, soziale Zusammenhänge so weitgehend aufzulösen, dass jedes gesellschaftliche Zusammenleben unterminiert wird, zugunsten eines »Glücks«, das regelmäßig ins Unglück führt. Eine Veränderung moderner Denk- und Lebensweisen kann jedoch nicht »von oben herab« verordnet werden, sondern nur »von unten herauf« wachsen, realisiert von einzelnen Individuen, die Inseln des Anderen bilden und »gleichsam durch die Form der eigenen Existenz«, wie es in einer Vorlesung zur Moralphilosophie (1957) von Theodor W. Adorno heißt, »mit all den unvermeidbaren Widersprüchen und Konflikten, die das nach sich zieht, versuchen, die Existenzform vorwegzunehmen, die die eigentlich richtige wäre«.
    Die Arbeit an einer anderen Moderne rückt auf andere Weise das Individuum ins Zentrum, nicht mehr nur als sich befreiendes, sondern auch als Freiheitsformen schaffendes: zweifellos ein nietzscheanisches Projekt . Erhalten bleibt der Zentralbegriff der Freiheit, verstanden jedoch nicht mehr nur als negative Freiheit der Befreiung, des Freiseins von , sondern auch als positive Freiheitdes Freiseins zu Bindungen, Beziehungen, Begrenzungen, die vom Individuum selbst gewählt und festgehalten werden. Alle Arbeit an der Formgebung der Freiheit wurde in der Moderne sehr stark auf das Recht konzentriert, das mit dem Umfang der Aufgabe jedoch überfordert ist. In allen genannten Hinsichten: religiös, politisch, ökologisch, ökonomisch, sozial, sind daher Formen der Freiheit auszuarbeiten, um den Zustand des bloßen Befreitseins zu überwinden. Nicht zuletzt auch, weil dieser Zustand, wie sich zeigt, antimoderne Kräfte auf sich zieht, die die Spielräume der Freiheit bedrohen, getrieben von tödlicher Angst vor der Moderne und ihren Befreiungen. Eine andere, kritische, reflektierte Moderne wird sich eher darauf verstehen, Brücken zu anderen Kulturen zu bauen, statt diese mit kultureller Arroganz als »überholt« abzuweisen. Sie verzichtet dabei nicht auf zentrale Errungenschaften der Moderne wie Menschenwürde und Menschenrechte. Erhalten bleibt das moderne Engagement für Veränderungen und Verbesserungen, alles andere würde das blinde Sichfügen in beliebige Verhältnisse bedeuten. Aber »Neues« ist nicht länger eine Norm, möglich ist auch das Festhalten an »Altem«, das sich bewährt. Das Engagement bedarf nicht mehr der Annahme, jede Beschädigung des Lebens sei heilbar oder
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