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Mit Konfuzius zur Weltmacht

Mit Konfuzius zur Weltmacht

Titel: Mit Konfuzius zur Weltmacht
Autoren: S Aust
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über Luxus und Laster in der Metropole – sie zählten 700 Bordelle. In Vergnügungsstätten wie der »Allee des konzentrierten Glücks« waren jährlich die »100 besten Huren« gewählt worden. Ein eng-lischer Missionar hatte einst gestöhnt: »Wenn Gott Shanghai überleben lässt, muss er sich bei Sodom und Gomorrha entschuldigen.« Als Maos Bauernsoldaten auch das bekannte Peace Hotel »befreiten«, entdeckten sie Keramikeinrichtungen in den Badezimmern. Sie nutzten die ihnen unbekannten Toiletten, um Reis zu lagern. Zu Problemen kam es, so die Legende, als einige der Befreier versehentlich auf die Spülung drückten.
    Am 1. Oktober 1949 rief Mao Zedong auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking die Volksrepublik China aus. Ein Meer von roten Fahnen wehte, die Gesichter spiegelten Erregung, immer wieder toste Beifall. Das Gefühl von Millionen damals: China ist wieder auferstanden. Zum ersten Mal seit Langem war das Land vereint und von fremden Mächten befreit.
    17 Jahre später, gleicher Ort: Es waren Hunderttausende. Sie schwenkten die kleine rote Mao-Bibel, eine Zitatensammlung nach dem Vorbild der Gespräche , mit denen sich Mao zum neuen Konfuzius erheben wollte. Jeder auf dem Platz hatte ein Mao-Abzeichen angesteckt, 4,8 Milliarden davon wurden damals in China gepresst. Schüler und Studenten, aus allen Teilen des Riesenlandes angereist, schrien im Chor: »Der Vorsitzende Mao möge 10 000 Jahre leben!« Dann erschien der 72-Jährige am Tor des Himmlischen Friedens. »Lernt Revolution machen, indem ihr Revolution macht!«, rief er ihnen zu. Mädchen kreischten, weinten, viele brachen zusammen. Es war der 18. August 1966, die erste Massenkundgebung der »Großen Proletarischen Kulturrevolution«.
    Zwei Wochen zuvor hatten Schülerinnen einer Pekinger Mädchenschule ihre Rektorin geschlagen, sie mit kochendem Wasser übergossen und zu Tode getrampelt. Konfuzius hatte stets Respekt gegenüber Lehrern gefordert, Konfuzius-Gegner Mao verkehrte das auf perverse Weise ins extreme Gegenteil. Eine der Mörderinnen durfte ihm auf der Kundgebung nun eine rote Armbinde umlegen. Der Dialog zwischen ihr und dem »Großen Vorsitzenden« stand tags darauf in allen Zeitungen: »Wie heißt du?«, fragte er. »Song Binbin«, antwortete sie. » Bin bedeutet wohlerzogen und sanft«, stellte er fest. Sie bejahte. Mao sagte ihr: »Sei gewalttätig!« Song änderte darauf ihren Namen in »Sei gewalttätig«. Auch ihre Schule wurde in einer feierlichen Zeremonie umbenannt – fortan hieß sie »Rote gewalttätige Schule«. Schon Konfuzius hatte gewarnt: »Konsequent sein wollen, aber keine Bildung haben – das führt zu fanatischer Besessenheit.«
    Unter Mao geriet ein Viertel der Menschheit in Ekstase für einen Despoten, der selbstherrlicher war als jemals ein Kaiser von China. Er hat mehr Menschen auf dem Gewissen als je ein Diktator zuvor, vergleichbar nur mit den beiden anderen Massenmördern des 20. Jahrhunderts, Hitler und Stalin. Er war ein übler Bursche – und ein übel riechender dazu. Mao benutzte keine Zahnbürste und sagte seinem Leibarzt: »Ein Tiger putzt sich auch nie die Zähne, und trotzdem sind sie scharf.« Er wusch sich nie die Haare und duschte nicht. »Seine Unterhose fühlte sich so dünn an, dass ich mich nicht traute, sie zu reiben, und sie nur sanft glatt strich«, erzählte eine Dienerin, die seine Wäsche wusch, Jahrzehnte später. »Ich dachte dabei an den Vorsitzenden Mao. Er ist der Führer der Menschen auf der Welt und führt doch so ein hartes Leben.«
    9. September 1976, ein Jahrzehnt nach Beginn der Kulturrevolution, Universität von Sichuan in der Stadt Chengdu: Die Vorlesungen wurden abgebrochen. Um 15 Uhr sollten sich alle Studenten versammeln. Nichts Besonderes, dachte die Englischstudentin Jung Chang, das war Alltag damals an chinesischen Universitäten. Mit schmerzverzerrtem Gesicht trat die Parteisekretärin der Fakultät vor die Studenten, aus den Lautsprechern krächzte ihre stockende Stimme: »Unser Großer Führer, der Vorsitzende Mao, unsere verehrungswürdige Eminenz …« In diesem Moment begriffen alle, was passiert war, und begannen zu schluchzen: Mao war tot.
    Keiner traute sich, ihn zu beerdigen. Noch heute liegt seine Leiche in Peking unter Kristallglas aufgebahrt, stehen Menschen anderthalb Stunden Schlange, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Sein 6,50 Meter hohes und 5 Meter breites Bild prangt weiter am Tor des Himmlischen Friedens. »Es ist, als würde Hitlers
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