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Mit geschlossenen Augen

Mit geschlossenen Augen

Titel: Mit geschlossenen Augen
Autoren: Melissa Panarello
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es sie nicht gibt, die Etiketten ‒ manche Menschen führen nun mal ein lineares, wohl geordnetes Leben, während das Leben anderer eher einem bizarren Rokokoschnörkel ähnelt...«
Seine Antwort beeindruckte mich. »Dann ist meins eine Mischung aus beidem ...«, erwiderte ich.
In diesem Moment kam Valerio zu mir und bat mich, ihm aufs Sofa zu folgen.
Ich nickte dem Mann zu, ohne mich von ihm zu verabschieden, denn ich ahnte schon, dass ich ihn irgendwann im Lauf des Abends noch in mir drin haben würde.
Auf dem Sofa saßen ein junger Bodybuilder und zwei grell geschminkte, ziemlich vulgär aussehende Frauen mit wasserstoffblonden Mähnen.
Mein Prof. und ich nahmen in der Mitte des breiten Sofas Platz, worauf er mit einer Hand unter mein T-Shirt glitt und eine meiner Brüste zu streicheln begann. Die Sache war mir sofort peinlich, und ich schämte mich sehr.
»Komm, Valerio ... müssen ausgerechnet wir anfangen?«
»Warum denn nicht, hast du was dagegen?«, fragte er und biss mich in ein Ohrläppchen.
»Nein, das hat sie garantiert nicht ... Sie zergeht ja fast vor Lust«, sagte der Bodybuilder dreist.
»Darf ich fragen, wie du daraufkommst?«, sagte ich und sah ihn herausfordernd an.
Anstatt mir eine Antwort zu geben, begann er mich stürmisch auf den Mund zu küssen, während seine Hand blitzartig unter meinen Rock und zwischen meine Schenkel fuhr. Ich fing an, mich gehen zu lassen, und spürte, dass diese dumme, plumpe Gewalt wieder einmal dabei war, mich zu überwältigen. Als ich ein wenig die Pobacken anhob, um ihn besser küssen zu können, nahm der Prof. die Gelegenheit wahr, mein Gesäß zu streicheln, zuerst sanft und zärtlich, dann immer leidenschaftlicher und forscher. Ich vergaß die Leute um mich herum, obwohl ich wusste, dass sie mich von allen Seiten anglotzten und daraufwarteten, dass einer der beiden Männer in mich eindringen würde. Während der junge Typ mich küsste, schmiegte eine der beiden Frauen sich von hinten an ihn und küsste seinen Nacken. Irgendwann schob Valerio meinen Rock hoch: Jetzt konnten alle meinen Po und mein Geschlecht bewundern, sie waren regelrecht zur Schau gestellt, auf einem Sofa inmitten fremder Leute. Ich drückte meinen Rücken durch und gab mich ihm völlig hin, während der Bodybuilder vor mir meine Brüste quetschte.
»Mmh, du duftest wie ein junger Pfirsich«, sagte ein Mann, der gekommen war, um mich zu beschnuppern. »Ja, du bist weich und glatt wie ein frisch gepflückter und gewaschener Pfirsich.«
Der junge Pfirsich wird reifen; und dann wird er zuerst seine Farbe und danach seinen Geschmack verlieren, und seine Haut wird schlaff und runzelig werden. Am Ende wird er verfaulen, und die Würmer werden sich sein Fruchtfleisch einverleiben.
Ich riss die Augen auf, lief rot an, drehte mich ruckartig nach dem professore um und sagte: »Lass uns gehen, ich will nicht mehr.«
Es passierte genau in dem Moment, in dem mein Körper drauf und dran war, sich völlig hinzugeben ... Armer Flavio, armer Bodybuilder, arme andern, arme ich. Es war ein Schock für alle, mich eingeschlossen; ich zog mich hastig an, rannte mit Tränen in den Augen den langen Korridor entlang, riss die Haustür auf und stolperte zu dem geparkten Wagen auf der Straße. Seine Scheiben waren völlig beschlagen vom nebligen Dunst, der das Haus und mich umhüllte.
Auf der gesamten Rückfahrt fiel kein einziges Wort. Erst als wir vor meinem Haus ankamen, sagte ich: »Du hast mir noch gar nichts zu meinem Brief gesagt.«
Schweigend verstrichen zahllose Sekunden, und dann nur: »Addio, Lolita, auf Nimmerwiedersehen.«
20. Juni 6 Uhr 50
    Ich habe meine Lippen auf die Sprechmuschel gedrückt und seiner gerade wach gewordenen Stimme gelauscht. »Ich möchte dich erleben«, hauchte ich.
24. Juni
Es ist Nacht, liebes Tagebuch, ich bin draußen, auf der Terrasse unserer Wohnung, und betrachte das Meer.
    Es ist so ruhig, so friedlich, so sanft; die laue Luft dämpft seine Wogen, deren zartes, gemächliches Rauschen ich in der Ferne höre ... Der Mond ist ein wenig versteckt und scheint mitleidsvoll und nachsichtig auf mich herab.
    Ich frage ihn, was ich machen soll.
Er sagt, mein Herz ist verkrustet, und es ist schwierig, diese Verkrustungen wegzukriegen. Mein Herz ... ich wusste gar nicht mehr,
dass ich eins habe. Vielleicht wusste ich es nie.
    Keine Filmszene und kein noch so rührendes Lied haben mir je Tränen in die Augen getrieben, und an die Liebe habe ich immer nur halb geglaubt; sie wirklich zu
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