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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge
Autoren: Elizabeth Strout
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»Wahrscheinlich zu viel.«
    David setzte sich an den Tisch und sah sie an. »Hhmm, das war wahrscheinlich nicht sehr schlau. Weißt du, Bicka, das ist dir vielleicht nicht so klar, aber die meisten wollen nicht unbedingt über die Einläufe von anderen Leuten Bescheid wissen.«
    Rebecca nahm den Waschlappen aus dem Eisfach. Sie faltete ihn der Länge nach und setzte sich David gegenüber, den Waschlappen über den Augen. »Wenn jemand selber schon mal einen gekriegt hat«, sagte sie, »findet er nichts dabei, glaube ich.«
    David erwiderte nichts.

    »Der Zahnarzt hatte offenbar nie einen«, ergänzte Rebecca.
    »Mann«, sagte David, »wie kann so was denn passieren? Wie kommt man auf so ein Thema? Ich meine, sinnvoller wäre doch eigentlich gewesen, über Zähne zu reden.«
    »Mit den Zähnen waren wir schon durch.« Rebecca drückte die Hand auf den Waschlappen. »Ich hab ihm erklärt, warum ich die Stelle will. Wie wichtig es ist, dass alle diese Helfer in Weiß nett sind zu Leuten, die Angst haben.«
    »Schon gut, schon gut«, sagte David. Rebecca klappte eine Ecke des Waschlappens zurück und sah ihn mit einem Auge an. »Morgen findest du was«, versprach er.
     
    Und so war es. Sie bekam eine Stelle in Augusta bei einem unfreundlich dreinschauenden Mann, der nie »bitte« sagte und sie Verkehrsberichte abtippen ließ. Der Mann leitete eine Behörde, die den Verkehrsfluss innerhalb und außerhalb verschiedener Städte im Bundesstaat studierte, damit die Städte wussten, wo sie Ausfahrten bauen und Ampeln aufstellen sollten. Rebecca wäre nie auf die Idee gekommen, dass es Leute gab, die so etwas machten - den Verkehr studierten -, und am ersten Vormittag war es interessant, aber am Nachmittag schon weniger, und nach ein paar Wochen wusste sie, dass sie wahrscheinlich kündigen würde. Eines Nachmittags fing ihre Hand beim Tippen zu zittern an. Als sie die andere Hand hochhielt, zitterte auch die. Sie fühlte sich so wie im Greyhound-Bus, damals an dem Wochenende, als Jace ihr von der Blonden erzählt hatte und sie dasaß und dachte: Das kann nicht mein Leben sein. Und plötzlich schien ihr, dass sie das im Grunde schon ihr Leben lang dachte: Das kann nicht mein Leben sein.
    Auf den Briefkästen lehnte ein gefütterter brauner Umschlag, der an Rebecca adressiert war. Das Hemd hatte den langen Weg von Kentucky bis nach Maine gefunden. Rebecca
trug den Umschlag hoch in die Wohnung und zog die Lasche am oberen Ende auf, dass graue Polsterflöckchen auf den Tisch schneiten. Die Frau hatte recht, es war ein traumhaftes Hemd. Rebecca breitete es auf der Couch aus, drapierte die bauschigen Ärmel über die Kissen und trat einen Schritt zurück, um es besser betrachten zu können. Das war kein Hemd für David. Nie im Leben würde David so ein Hemd anziehen. Das war ein Hemd für Jace.
    »So was kommt vor«, sagte die Frau fröhlich. »Schicken Sie’s einfach zurück.«
    »Ist gut«, sagte Rebecca.
    »Sie klingen ein bisschen mutlos«, sagte die Frau. »Aber Sie kriegen Ihr Geld wieder, Schätzchen. Kann ein paar Wochen dauern, aber Sie kriegen es wieder.«
    »Ist gut«, sagte Rebecca noch einmal.
    »Kein Problem, Schätzchen. Wirklich gar kein Problem.«
     
    Am nächsten Tag sah sich Rebecca im Wartezimmer um, was sie noch mitgehen lassen konnte. Außer Zeitschriften gab es nicht viel. Das schien fast Absicht zu sein, sogar die Kleiderbügel waren von der Sorte, die man nicht von der Stange nehmen konnte. Aber auf dem Fensterbrett stand eine kleine Glasvase, schmucklos und unauffällig, um deren Boden sich schwach ein brauner Fleck abzeichnete.
    »Sie können jetzt reingehen«, sagte die Sprechstundenhilfe. Rebecca folgte ihr über den Gang ins Untersuchungszimmer. Sie schob den Ärmel hoch, um sich den Blutdruck messen zu lassen. »Was macht der Magen?«, fragte die Sprechstundenhilfe nach einem Blick auf die Karteikarte.
    »Geht so«, sagte Rebecca. »Na ja, eigentlich nicht. Das Maalox hilft nicht besonders.«
    Die Sprechstundenhilfe löste den Klettverschluss um Rebeccas Arm. »Sagen Sie’s dem Arzt«, sagte sie.

    Aber der Arzt, das sah Rebecca gleich, verlor langsam die Geduld mit ihr. Er verschränkte die Arme über der weißbekittelten Brust, presste die Lippen aufeinander und betrachtete sie ohne ein Blinzeln.
    »Es tut immer noch weh«, sagte Rebecca. »Und …«
    »Was, und?«
    Sie hatte ihm von ihren zitternden Händen erzählen wollen, von diesem Gefühl, dass etwas mit ihr einfach nicht stimmte. »Und
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