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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge
Autoren: Elizabeth Strout
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ich frag mich eben, warum es noch weh tut.« Sie senkte den Blick auf ihre Füße.
    »Rebecca, wir haben Ihren gesamten Magen-Darm-Trakt durchleuchtet, wir haben alle Blutwerte überprüft. Sie müssen sich einfach damit abfinden, dass Sie gesund sind. Sie haben einen empfindlichen Magen. Da sind Sie nicht die Einzige.«
    Im Wartezimmer stellte Rebecca sich ans Fenster, während sie ihren Mantel anzog, und sah hinaus, als interessierte sie der Parkplatz dort unten. Einen Augenblick lang schmerzte ihr Kopf nicht, der Magen schmerzte nicht, sie fühlte sich so sauber wie frisches Wasser. Wie die reine Flamme, die aus ihrem Feuerzeug schoss. Neben ihr blätterte ein Mann in einer Illustrierten. Eine Frau feilte sich die Nägel. Rebecca steckte die Vase in ihren Rucksack und ging.
     
    An diesem Abend hockten sie auf dem Boden vor dem Fernseher und guckten einen alten Film. Hätte jemand durchs Fenster geschaut, dann hätte er Rebecca ans Sofa gelehnt sitzen sehen und David mit einem Selterswasser in der Hand neben ihr, ein Pärchen, wie es normaler nicht sein konnte.
    »Als Kind hab ich nie was gestohlen«, sagte Rebecca.
    »Ich schon«, sagte David, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. »Ich hab in dem Drogeriemarkt, wo ich gejobbt hab, eine Uhr geklaut. Ich hab ziemlich viel geklaut.«

    »Ich nie, weil ich immer Angst hatte, erwischt zu werden«, sagte Rebecca. »Nicht, weil es unrecht ist. Ich meine, ich wusste, dass es unrecht ist, aber das war nicht der Grund.«
    »Einmal hab ich sogar das Geburtstagsgeschenk für meine Mutter geklaut.« David lachte in sich hinein. »Irgend so eine Anstecknadel.«
    »Wahrscheinlich stehlen die meisten Kinder irgendwann etwas«, sagte Rebecca. »Könnte ich mir jedenfalls vorstellen. Ich meine, keine Ahnung. Ich war früher nie bei anderen Kindern zu Besuch und sie bei mir auch nicht.« David sagte nichts. »Mein Vater meinte, das macht einen schlechten Eindruck«, erklärte Rebecca. »Wenn man als Pfarrerskind jemanden bevorzugt. In so einer kleinen Stadt wie unserer.«
    David hielt den Blick auf den Fernseher gerichtet. »Ganz schön gestört«, sagte er. »Jetzt musst du aufpassen. Die Szene gleich ist saustark. Da wird der Typ von der Schiffsschraube zersäbelt.«
    Sie sah hinaus in die Dunkelheit vor dem Fenster. »Und als ich in die Neunte kam«, sagte sie, »hat mein Vater beschlossen, dass die Kirche kein Geld mehr für eine Haushälterin für uns auszugeben braucht, also habe ich gekocht. Ich hab ihm Extramahlzeiten gekocht, die praktisch trieften vor Butter. Gott«, sagte sie.
    David johlte. »Da zieht’s ihn rein. Der Hammer!« »Rein rechtlich gesehen hab ich mich damit wahrscheinlich strafbar gemacht.«
    »Was sagst du, Häschen?«, fragte David. Aber Rebecca sagte es nicht noch einmal. David tätschelte ihr den Fuß. »Unsere Kinder werden anders erzogen. Keine Angst.«
    Auch darauf sagte Rebecca nichts.
    »Das ist echt ein geiler Film«, sagte David. »Das ist dermaßen geil. Warte, gleich ist der Kopf ab.«

    Drüben in der Bar gab es offenbar Ärger. Gleich drei Streifenwagen hielten auf dem Parkplatz, und das Blaulicht blieb an, während die Polizisten nach drinnen verschwanden. Rebecca wartete am Küchenfenster, und die Lichtkegel zuckten über ihren Arm, über den Küchenboden. Zwei der Polizisten kamen aus der Bar, zwischen sich einen Mann, der die Hände hinterm Rücken hatte. Sie drängten den Mann an einen der Wagen, und dann sagte der eine Polizist zu ihm: »Sie haben das Recht, zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden.« Die Stimme des Polizisten war weder freundlich noch unfreundlich, nur laut und klar. »Sie haben das Recht, einen Anwalt zurate zu ziehen. Wenn Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen ein Anwalt gestellt.« Es klang wie Poesie, so wie auch die Bibel wie Poesie klingen konnte, wenn nur die Betonung stimmte.
    Die übrigen Polizisten kamen nun auch aus der Bar, und nach einer Weile verfrachteten sie den Mann auf den Rücksitz, und alle drei Streifenwagen fuhren davon. Die Küche wirkte dunkel ohne das Blaulichtgeflacker. Rebecca konnte den Maalox-Löffel drüben bei der Spüle erkennen, in dessen Höhlung ein paar weiße Sprenkel leuchteten. Eine lange Zeit saß sie im Dunkeln am Küchentisch. Sie sah die Arztpraxis vor sich, den Weg, den der Bus dorthin nahm. In Maisy Mills fuhren nachts keine Busse. Zu Fuß musste es fast eine halbe Stunde dauern, dachte sie. Wenn du aus etwas nicht
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