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Mit 50 hat man noch Träume

Mit 50 hat man noch Träume

Titel: Mit 50 hat man noch Träume
Autoren: Bärbel Böcker
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erinnerte sie an Weihnachtsplätzchen.
Sie musste sich beherrschen, um die Mandelblättchen, die auf der Kuchenplatte lagen,
nicht mit den Fingern aufzustippen, aber der Gedanke an ihre immer noch etwas mollige
Figur hielt sie zurück. In den letzten Wochen hatte sie zu ihrer heimlichen Freude
einige Kilos verloren, ein positiver Nebeneffekt zur Trennung von Claus. Aber es
durften ruhig noch ein paar mehr Pfunde schmelzen. Claus hatte immer gern gegessen,
er liebte es, wenn sie kochte, denn sie kochte gut, aber wenn sie beim Essen nicht
in dem Maße zulangte wie er selbst, bekam er schlechte Laune. »Es verdirbt mir den
Appetit, wenn du isst wie ein Spatz«, hatte er oft gesagt, und so hatte sie nicht
zuletzt seinetwegen ihre guten Vorsätze oft genug fahren lassen. Leider. Ihr Faible
für Schokolade hatte auch die eine oder andere Speckrolle begünstigt.
    »Natürlich
tauschen wir auch Rezepte aus und veranstalten Bastelabende, insbesondere zu Festen
wie Ostern oder Weihnachten. Aber eben nicht nur.«
    »Bastelabende?«
Bruni musste husten und verschluckte sich fast.
    »Ja, wir
basteln Oster- und Weihnachtsschmuck. Wenn Sie wollen, können Sie in diesem Jahr
gern mitmachen.«
    Bruni stützte
ihren Kopf in die Hand und betrachtete Christine Schäfer nachdenklich. Schließlich
sagte sie: »Da komme ich wahrscheinlich drauf zurück.« Sie wusste nicht, was sie
von diesem Landfrauenverein halten sollte. Einerseits hielten die Mitglieder Vorträge
über ein aktuelles Thema und initiierten eine Selbsthilfegruppe, andererseits veranstalteten
sie Bastelabende, was sich irgendwie antiquiert anhörte. Sie musste daran denken,
wie sie und ihre Freundinnen in den 80ern strickend beieinander gesessen hatten,
in einer der vielen Südstadtkneipen Sekt tranken, über Wolf Biermanns Ausbürgerung,
Robin Norwoods Bestseller ›Wenn Frauen zu sehr lieben‹ und über Alice Schwarzers
feministische Zeitschrift ›Emma‹ diskutierten. Die Alleinerziehenden unter ihnen
waren in der Mehrzahl gewesen. Bruni lächelte. Damals hatte es beinahe zum guten
Ton gehört, ohne Mann zu leben. Sie selbst hatte nur selten einen Freund gehabt,
denn irgendwie hatte sie mit Männern noch nie etwas Richtiges anfangen können. Bis
heute waren ihr die meisten Männer zu laut und zu unsensibel, doch was sie besonders
an ihnen störte, war der Hang zur Egozentrik. Waren Männer halbwegs erfolgreich,
hörten sie überhaupt nicht mehr auf, sich selbst über den grünen Klee zu loben,
das hatte sie oft genug erlebt, ob an der Uni oder im Freundeskreis. So war sie
froh, wenig mit ihnen zu tun zu haben, denn sie arbeitete vor allem mit Frauen zusammen,
wenn sie nicht allein hinterm Schreibtisch saß und schrieb. Außerdem war sie fest
davon überzeugt, dass sich am männlichen Imponiergehabe auch in Zukunft nichts ändern
würde.
    Auf jeden
Fall waren Freundinnen damals schon für sie wichtiger gewesen als jeder Mann, gefolgt
von Büchern, Stricknadeln, Sekt und schließlich den Kindern. Brunis Züge wurden
weich. Es war eine schöne Zeit gewesen. Wie oft war sie im ›Filos‹ versackt, und
wie oft hatte sie spät abends in der ›Opera‹ die Kinder von anderen auf dem Schoß
gehabt. So ähnlich stellte sie sich auch die Treffen der Mitglieder vom Landfrauenverein
in Altenahr vor, nur dass sie vermutlich längst nicht so viel Sekt tranken, ihre
Kinder ordentlich zu Bett brachten und keine Schals oder Pullis strickten, sondern
Weihnachtssterne und Osterhasen bastelten. Sie fragte sich, über welche Bücher die
Landfrauen von heute wohl diskutierten. Und sie überlegte, warum so viele Frauen,
egal, wo sie lebten, immer schon diese Zeitschriften verschlungen hatten, in denen
es von Rezepten und Bastelanleitungen für Blumentopfdekore und anderen wichtigen
Dingen des täglichen Bedarfs nur so wimmelte. Die Antwort lag vermutlich darin,
dass die farbenfrohen Gärten, edlen Landhäuser und schicken Outfits der Frauen,
die abgebildet waren, die große Sehnsucht nach Romantik befriedigten, die sich im
Leben der meisten Frauen längst davongeschlichen hatte, und dadurch jede Bastelanleitung
legitimierten. Und: Sie hielten ihre Träume lebendig.
    Auf einmal
kam Bruni eine Idee. Warum sollte sie nicht den nächsten Artikel in der Fachzeitschrift Philosophisches Seminar über Frauen und ihre Vorstellung von Glück schreiben?
Gab es so etwas überhaupt? Ein frauenspezifisches Glück? Sie hielt einen Augenblick
inne, bevor sie dachte: Waschen, Bügeln, Putzen gehört
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