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Mit 16 tanzt man in das Leben

Mit 16 tanzt man in das Leben

Titel: Mit 16 tanzt man in das Leben
Autoren: Tina Caspari
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zusammenzählen. Klaus war mit einem anderen Mädchen hier erschienen, um Unterricht zu nehmen, und offensichtlich gingen Katja und er sich aus dem Wege. Obgleich Klaus ihr doch noch vor wenigen Wochen gestanden hatte, daß ihm sehr viel an Katja lag.
    „Ich möchte heute einmal eine Stunde allein mit dir arbeiten“, sagte Frau Künzel während des Unterrichts zu Katja. „Hast du Lust, nachher noch ein wenig hierzubleiben?“
    „Ja, gern!“
    „Gut... der Ballettsaal wird nicht mehr gebraucht, du hast ihn also dann ganz für dich allein.“
    Wenn Frau Künzel zu einem sprach, dann war es, als streichle sie einem übers Haar. Katja wurde es ganz warm vor Freude, dieses Gefühl hatte sie seit langem vermißt.
    Als die anderen gegangen waren, bat Frau Künzel Katja, die Spitzenschuhe auszuziehen und sich barfuß in die Mitte des Raumes zu stellen.
    „Schließ die Augen und laß den ganzen Körper locker. Ich werde jetzt eine Musik auflegen, zu der du improvisieren sollst. Tanz, was dir einfällt. Warte...“
    Frau Künzel ging hinaus und kam mit einem langen, weiten Rock wieder, den Katja anziehen mußte.
    „Das wird dir helfen, weiche, schwingende Bewegungen zu machen“, meinte sie. „Beginne mit kleinen Gesten, kleinen Bewegungen des Rumpfes und der Schultern und Hüften, und steigere dich erst allmählich zu Schritten, Drehungen und Sprüngen. Alles muß von innen kommen, nicht vom Verstand ausgehen, sondern vom Bauch, vom Sonnengeflecht, verstehst du?“
    „Ich glaube schon...“
    „Fühle dich wie ein Wesen, das noch keine Sprache kennt, das sich nur durch Tanz den anderen mitteilen kann...“
    Katja stellte sich mit geschlossenen Augen in die Mitte des Raumes. Da kamen die ersten Takte. Sie kannte die Musik. Der Bolero von Ravel - ein Rhythmus, der den Körper wie von allein mit sich riß.
    Katja bewegte sich wie eine Blume auf ihrem Stengel, die vom Wind mal hierhin, mal dorthin gebogen wird. Die Bewegung setzte sich in den Armen fort, im Kopf, schließlich folgten die Füße, wie unter einem Zwang. Aus suchenden, tastenden Schritten wurden fordernde, stampfende. In Katjas Phantasie erstand der Festsaal eines Königspalastes. Ein grausamer König hatte ihren Geliebten in Ketten gelegt und wollte ihn hinrichten lassen. Nur wenn ihr Tanz den König so rührte, daß er ihr einen Wunsch erfüllen würde, konnte ihr Geliebter gerettet werden.
    Katja wirbelte im Kreis. Sie tanzte immer noch mit geschlossenen Augen. Dort saß der König mit seinem höhnisch grinsenden Gefolge. Katja tanzte mit aller Leidenschaft, flehend streckten sich die Arme nach allen Seiten, der Körper wand sich wie unter Peitschenhieben. Jetzt sank sie auf die Knie, tanzte nur noch mit Oberkörper und Armen. Du mußt ihn mir wiedergeben, König, du mußt! Wenn er stirbt, sterbe ich auch! Katja warf sich flach auf den Boden, die weiten Falten des Rockes deckten sie fast zu. Ein Zucken ging durch ihren Körper wie unter einem Schwertstreich. Katja schluchzte hemmungslos.
    Die Musik schwieg. Frau Künzel hob Katja auf, zog sie an sich und streichelte sie, bis das verzweifelte Schluchzen nachließ. „Besser?“ fragte sie schließlich.
    „Okay“, sagte Katja und mußte unter Tränen lachen.
    Frau Künzel zog ein Taschentuch heraus und trocknete ihr das Gesicht wie einem kleinen Kind.

    „Jetzt hast du mal Tanz als Medizin erlebt“, sagte sie heiter. „Ich glaube, sie ist dir gut bekommen.“
    „Ich fühle mich wie neugeboren...“
    „Dann ist es gut. Weißt du - wenn man glaubt, eine Sache sei restlos zu Ende und nicht mehr zu retten, dann fängt sie oft erst richtig an. Ich kenne deinen Kummer. Aber du mußt lernen, in der inneren Not das Notwendige zu sehen, das, was dich durch Nachdenken und Umdenken zwingt, die ,Wende der Not’ herbeizuführen, einen neuen Anfang zu suchen. Wachsen tut weh - aber diese Schmerzen sind wichtig. Denk darüber nach.“

Ein Klasse-Paar

    Frau Künzels Worte beschäftigten Katja eine ganze Nacht lang. Der Tanz und der Zusammenbruch danach hatten sie wunderbar befreit, die Schwere war aus ihren Gedanken und aus ihrem Körper verschwunden. Plötzlich sah sie alles ganz klar: hätte Klaus sie nicht im Stich gelassen und sich nicht mit Editha beschäftigt, sie hätte nie begriffen, was er ihr wert war, und wie egoistisch sie sich ihm gegenüber verhalten hatte. Erst die Verzweiflung hatte sie zum Nachdenken gebracht. Aber wie sollte es nun weitergehen?
    Katja stand auf, legte sich die Bettdecke um die
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