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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso
Autoren: Arne Dahl
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lächelte. Natürlich lehnte keiner von vornherein eine Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit ab.
    »Na dann«, sagte Hultin und schob seine Unterlagen zusammen. »Dann wünsch ich euch einen schönen Sommer – wenn wir ihn nicht schon verpasst haben.«
    Sie erhoben sich unentschlossen und verließen die Kampfleitzentrale. Hjelm blieb, mehr oder weniger bewegungsunfähig, einfach sitzen. Hultin nahm den Lappen, um seine komplizierte Graphik zu einem Fleck im Stoff werden zu lassen.
    Er zögerte ein wenig und sagte, ohne sich umzudrehen: »Vielleicht solltest du dir diesen Lageplan einprägen und mit ihm die Schwedenkarte in deinem Atlas ersetzen.«
    Hjelm betrachtete das unüberschaubare Wirrwarr an Pfeilen, Kästchen und Lettern. Dort war alles zusammengefasst. Eine wahnwitzige und zugleich logische Karte eines Landes, das psychisch gesehen in Trümmern lag. Eine unwahrscheinliche Konstellation von in Todeszuckungen liegenden Körperteilen. Ein durch Geld vergiftetes Nervensystem. Ein entsetzliches Diagramm geistigen Verfalls.
    So dachte Paul Hjelm und musste über sich selbst lachen.
    Hultin zog die Augenbrauen hoch. »Die Zeit ist uns davongelaufen, Paul«, sagte er.
    »Schon möglich«, antwortete Hjelm. »Obwohl ich mir da gar nicht mehr so sicher bin.«
    Während des darauffolgenden Schweigens gaben sie dem Muster Zeit, sich wie ein Raster über ihre Netzhaut zu legen.
    Als Hultin das Diagramm schließlich zu einem kleinen blauen Fleck auf seinem Lappen zusammenwischte, hatte es sich ihnen eingeprägt.
    »Danke für die gute Führung«, sagte Hjelm und reichte Hultin die Hand.
    Hultin ergriff sie mit einem bitteren Zug um den Mund. »Du bist manchmal ein wenig schwülstig, Paul«, sagte er. »Aber mit der Zeit könntest du ein durchaus passabler Polizist werden.«
    Damit wandte Hultin sich seiner heimlichen Tür zu. Hjelm folgte ihm mit dem Blick. Kurz bevor er die Tür hinter sich zuzog, sagte Hultin: »Inkontinenz.«
    Hjelm schaute lange auf die geschlossene Tür und dachte an Fußball. Knallharter Verteidiger mit Windeln.
    Schließlich raffte er sich auf und klapperte die einzelnen Büros ab.
    Im ersten saßen Söderstedt und Norlander friedlich vereint und plauderten miteinander. Die alten Antipathien waren, wenn auch nicht ganz beseitigt, so doch erfolgreich verdrängt.
    »Ich düse ab«, sagte Hjelm. »Einen schönen Sommer.«
    »Gehe hin in Frieden«, sagte Viggo Norlander und hielt seine stigmatisierten Handflächen hoch.
    »Mach doch mal einen Abstecher nach Västeris«, sagte Arto Söderstedt. »Wir stehen im Telefonbuch.«
    »Warum nicht?« erwiderte Hjelm und hob zum Abschied die Hand.
    Die nächste Bürotür flog auf, und gleich darauf kam Gunnar Nyberg im Rollstuhl auf den Flur gefahren. Ein grotesker Anblick, diese Riesenmumie, die die Armlehnen des Rollstuhls auseinander zubiegen schien.
    »Lachen erlaubt«, sagte er mit krächzender Mumienstimme.
    Hjelm nahm ihn beim Wort.
    Nyberg krächzte weiter, während er den Flur entlang rollte. »Der Fahrdienst wartet unten auf mich.«
    »Reiß dich zusammen, und ramm ihn nicht!« rief Hjelm ihm nach.
    Nyberg zeigte ihm hinter dem Rücken mit der gesunden Hand den Finger.
    Hjelm klopfte an und ging zu Kerstin hinein. Sie legte gerade den Hörer auf.
    »Das war Lena Lundberg«, sagte sie verhalten. »Sie hat gefragt, ob sie raufkommen dürfte.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Dass sie kommen soll.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kann einer der anderen ihr so was wie eine Erklärung liefern. Ich kann es nicht.«
    »Wird sie das Kind behalten?«
    »Ich denke ... Wie erzählt man eigentlich seinem Kind, dass der Vater ein Serienmörder ist?«
    »Vielleicht kann er das sogar selbst tun ...«
    »Wenn er so lange lebt«, sagte Kerstin und begann zerstreut, ihre Schreibtischschublade auszuräumen. »Vergiss nicht, dass er einen russischen Mafioso umgebracht hat.«
    »Nein«, sagte Hjelm. »Das werde ich nicht vergessen.« Er beobachtete ihre kleine Serie von Übersprungshandlungen und stellte fest, dass er sie ganz reizend fand. »Und was machen wir jetzt?« fragte er schließlich.
    Sie sah ihn an. Er spürte sich von ihrem wunderbar dunklen Blick festgehalten.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Was denkst du?«
    »Ich weiß es auch nicht. Ich habe vergessen, wie der Alltag schmeckt. Bei allem, was wir getan haben, waren wir in einem exaltierten Zustand. Wie wird es werden zwischen uns, wenn wir aus diesem geschlossenen Raum herauskommen? Ich weiß es
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