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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso
Autoren: Arne Dahl
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Fünfzehn, danach eine einfache Zwanzig und als Krönung das einzige Bulls-Eye dieses Morgens. Zwei. Danach zum Abschluss der Partie eine Doppel-Eins. Null. Ganz einfach. Das schwierigste würde sein, den dritten Pfeil exakt im kleinen schwarzen Mittelpunkt des Bull’s-Eye zu platzieren. Ein guter Start in den Tag.
    Ein guter Start in einen ganz gewöhnlichen Tag.
    Um der Spannung willen platzierte er die Fünfzehn ins äußere und die Zwanzig ins innere Feld; der Pfeil steckte direkt neben dem Stahldraht und neigte sich verräterisch zur Eins, aber er saß. Der Draht vibrierte leicht von der Berührung. Jetzt noch das Bulls-Eye, mitten ins Schwarze. Er konzentrierte sich, hob den Pfeil, zielte mit der langen Spitze auf den inneren Ring und führte den Pfeil exakt in Augenhöhe zehn Zentimeter nach hinten.
    In dem Moment schlug die Tür.
    Das stimmte nicht. Das war nicht richtig.
    Er ließ den Pfeil sinken und ging in den Schalterraum.
    Ein riesiger, bulliger Mann zielte mit einer großen Pistole auf ihn. Wie versteinert blieb er stehen. Alles brach auseinander. Das war falsch, völlig falsch. Nicht jetzt. Nicht ausgerechnet jetzt. Der Boden unter seinen Füßen gab nach.
    Der Mann trat an den Schalter und hielt ihm eine leere Reisetasche hin. Er legte den Pfeil beiseite, öffnete die Klappe und nahm die Tasche mechanisch entgegen.
    »Fill it up«, sagte der Mann in gebrochenem Englisch.
    Langsam und methodisch packte er ein Geldbündel nach dem anderen ein. Neben der Tasche lag der Pfeil mit der langen Spitze. Die Gedanken wirbelten wild in seinem Kopf herum. Nur noch das Bull’s-Eye, dachte er, und er dachte an Lisbet und daran, dass es neun Uhr dreißig war, und an die aus alter Gewohnheit aufgeschlossene Eingangstür, er dachte an den Abschluss mit der Doppel-Eins und den anonymen braunen Briefumschlag von höchster Stelle, an die Fäuste unter den blauen Klängen, daran, wie weich Lena war, und an die losen Zähne unter der Zunge und zuletzt wieder einmal an das Bull’s-Eye.
    Der bullige Mann senkte die Pistole und sah sich lauernd um.
    Er dachte an seine Fähigkeit, in extremen Stresssituationen das Äußerste aus sich herauszuholen.
    »Hurry up!« fauchte der Stier und warf nervöse Blicke aus dem Fenster. Seine Augen mit den tiefschwarzen Pupillen waren rot gerändert.
    Bull’s-Eye, dachte er und griff nach dem Pfeil.
    Danach stand nur noch das Schlußdoppel aus.

2
     
    Paul Hjelm ging durch den Kopf, wie lange er nicht mehr in einem Streifenwagen mit Blaulicht und heulender Sirene gesessen hatte. Er saß auf der Rückbank, eingezwängt zwischen zwei uniformierten Polizisten und einem Kripobeamten in Zivil. Als der Wagen in einem heftigen Linksschwenk auf den Botkyrkaleden Reifengummi verbrannte, beugte er sich vor und legte dem Fahrer eine Hand auf die Schulter.
    »Es wäre vielleicht besser, die Sirenen auszuschalten«, sagte er leise.
    Der Fahrer streckte die Hand nach dem Knopf aus, aber still wurde es deswegen noch lange nicht; die quietschenden Reifen und der heulende Motor sorgten für einen gleichbleibenden Lärmpegel.
    Hjelm beobachtete seinen Kollegen in Zivil. Svante Ernstsson hielt sich krampfhaft an einer Schlaufe fest, die von der Decke herunterhing. Baumeln in modernen Polizeiwagen tatsächlich noch Handschlaufen? dachte Paul Hjelm – und gleichzeitig ging ihm auf, dass diese Frage jetzt irgendwie unangebracht war.
    Dann dachte er, dass er in letzter Zeit häufiger unangebrachte Sachen dachte.
    Es war knapp einen Monat her, dass Svante Ernstsson nach einer absurden Verfolgungsjagd durch Fittja auf dem Tege-längsvägen unbeschadet aus einem total demolierten Einsatzwagen gestiegen war. Er lachte unsicher, als der Wagen an der Ausfahrt nach Fittja vorbei über die stark befahrene Autobahn preschte, bevor er sich in Höhe von Slagsta in die langgezogene Linkskurve legte und über die Kreuzung raste. Rechts ging es in den Tegelängsvägen, Svante Ernstssons starrer Blick war stur nach links gerichtet. Danach entspannte er sich ein wenig.
    Hjelm konnte sich lebhaft vorstellen, was in Ernstsson vorging. Nach fast siebenjähriger enger Zusammenarbeit in einem der härtesten Polizeidistrikte des Landes kannten sie einander in- und auswendig. Dabei war ihm klar, dass sie im Grunde genommen herzlich wenig voneinander wussten.
    Hjelm fühlte sich vollkommen leer. Darum hatte er sich auch von der Angst seines Kollegen anstecken lassen. Um sich selbst einen Moment lang zu entfliehen.
    Der Tag hatte
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