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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso
Autoren: Arne Dahl
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sie in den allgemeinen Ausweisungsstrudel geraten. Sie dachten, es wäre alles geklärt, haben nur noch auf die positive Nachricht gewartet, und dann kam genau der gegenteilige Bescheid. Da ist ihm die Sicherung durchgebrannt, nehme ich an. Der Boden wird einem unter den Füßen weggezogen. Ich weiß, wie das ist.«
    »Kennen Sie ihn näher?«
    »Ihn kennen? Mein Gott, er ist ein Freund von mir! Ich habe ihn betreut. Ich kenne seine Kinder, seine Frau, alle seine verdammten Katzen. Wahrscheinlich gilt das Ganze mir. Er ist ein zurückhaltender Mann, der keiner Fliege was zuleide tut. Ich hab ihn angelogen.« Sie wurde lauter: »Ohne es zu wollen, habe ich ihn die ganze Zeit angelogen, verdammt! Die Gesetze ändern sich alle naselang. Wie sollen wir unsere Arbeit gut machen, wenn sich alles, was wir sagen, am laufenden Band in Lügen verwandelt?«
    Paul Hjelm erhob sich schwerfällig. Er zog die dicke Jeansjacke mit dem Fellkragen aus, schnallte das Schulterhalfter ab und warf es ins Auto, schob die Dienstpistole hinten in den Hosenbund und zog die Jacke wieder an.
    Er war vollkommen leer.
    »Was zum Teufel hast du vor?« fragten Svante Ernstsson und Johan Bringman im Chor.
    »Ich geh jetzt da rein.«
    »Die Spezialeinheit kann jeden Augenblick hier sein, verflucht noch mal!« rief Ernstsson ihm nach, als er den Tomt-bergavägen überquerte. Er rannte hinter ihm her und packte ihn am Arm. »Warte, Pille, mach jetzt keine Dummheiten. Bring dich nicht unnötig in Gefahr. Überlass das den Experten.«
    Ihre Blicke kreuzten sich. Er sah die leere Entschlossenheit in Hjelms Augen und ließ ihn los.
    Wir kennen einander viel zu gut, dachte er und nickte.
    Paul Hjelm schlich vorsichtig die Treppen zur Ausländerbehörde hoch. Nichts war zu sehen, nichts zu hören. Die Luft in dem geräumten Gebäude stand still. Um ihn herum purer Beton. Beton mit einem dicken, kunststoffartigen Anstrich, der trotz halbherziger Dekorationsversuche in Gestalt zufällig hingeklatschter Farbspritzer grau wirkte. Es roch nach Urin, Schweiß und Alkohol, und die wie Wüstenluft flimmernde Hitze verstärkte den Gestank noch. Der Duft Schwedens, dachte er.
    Es war Ende der Neunziger.
    Er schob sich durch den leeren tristen Korridor bis vor eine geschlossene Tür. Holte einmal tief Luft und rief: »Frakulla!«
    Es herrschte absolute Stille. Um gar nicht erst ins Grübeln zu geraten, redete er einfach weiter: »Ich heiße Paul Hjelm und bin Polizist. Ich bin allein hier und unbewaffnet. Ich will nur mit Ihnen reden.«
    Hinter der Tür tat sich etwas. Dann sagte eine tiefe Stimme fast unhörbar: »Kommen Sie rein!«
    Er holte noch einmal tief Luft und öffnete die Tür.
    Auf dem Fußboden des Büros saßen zwei Frauen und ein Mann mit hinter dem Kopf verschränkten Händen. Daneben, vor einer fensterlosen Wand, stand ein kleiner, dunkelhaariger Mann in einem braunen Anzug mit Weste, Schlips und Schrotflinte. Letztere war auf Paul Hjelms Nasenlöcher gerichtet.
    Hjelm schloss die Tür hinter sich und hob die Arme.
    »Ich weiß, was passiert ist, Frakulla«, sagte er, so ruhig er nur konnte. »Wir müssen versuchen, aus dieser Situation rauszukommen, ohne dass jemand verletzt wird. Wenn Sie sich jetzt ergeben, können Sie immer noch Berufung gegen den Beschluss einlegen. Wenn nicht, droht Ihnen eine Gefängnisstrafe und anschließend die direkte Ausweisung. Sehen Sie her, ich bin unbewaffnet«, sagte er, wand sich langsam aus der Jeansjacke und ließ sie auf den Boden fallen.
    Dritero Frakulla blinzelte heftig und zielte abwechselnd auf ihn und die drei Angestellten auf dem Boden.
    Forder mich bloß nicht auf, mich umzudrehen, dachte Hjelm. Weiterreden, los, weiterreden. Appellier an sein Verständnis. Benutz Worte, die ihn zum Nachdenken bringen. Lenk ihn ab.
    »Denken Sie an Ihre Familie«, fuhr er schließlich fort. »Was soll ohne den Versorger der Familie aus Ihren Kindern werden? Aus Ihrer Frau? Arbeitet sie? Was könnte sie arbeiten, Frakulla? Was für Qualifikationen hat sie?«
    Die Flinte war nun auf ihn gerichtet; genau das hatte er erreichen wollen. Und dann begann Frakulla, in sauberem Schwedisch zu reden.
    »Je schwerer das Verbrechen, das ich begehe, desto länger können wir bleiben. Haben Sie daran schon mal gedacht? Die schicken meine Familie nicht ohne mich nach Hause. Ich opfere mich für sie. Könnte man es nicht so nennen?«
    »Falsch, Frakulla. In so einem Fall wird Ihre Familie unmittelbar ausgewiesen und muss schutzlos zu den
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