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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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den Saal, gleichzeitig fallend und ansteigend. Alice war nicht unter ihm. Er konnte zunächst kaum seine Hände sehen, aber nach wenigen Augenblicken legte der Staub sich, und die Luft klarte auf. Die Leute standen auf, darunter viele Kinder, alle mumienweiß und von einer dicken Schicht aus Gipsstaub überzogen, um zunächst hustend in Kreisen herumzuirren; einige besaßen die Geistesgegenwart, um anderen zu helfen, wieder andere blieben wie erstarrt auf ihren Knien hocken, von der Katastrophe betäubt, mit auf die Oberschenkel gestützten Händen aufrecht am Boden wie Gipssamurais. Überall lagen die Überreste des zerschellten Wals herum, die verstaubten Scherben so weiß wie Stücke eines ausgebrüteten Dinosauriereis.
    Alice war nirgendwo zu sehen. Es war, als hätte ein Wurmloch sie verschluckt. Zwischen seinen Beinen sah er ihren Körperabdruck: einen Schnee-Engel, in dem er mit beiden Händen wühlte, bis nichts mehr zu sehen war als der schwarze Fußboden.
     
    S O IST ES ( TATSÄCHLICH ) AUSGEGANGEN :
     
    Lieber David,
     
    wenn du diesen Brief liest, bin ich gestorben.
    Aufgrund meiner Thromboseneigung haben die Ärzte große Bedenken gehabt, was die Implantation eines Magenbandes und die möglichen Komplikationen nach dem Eingriff anging. Ehrlich gesagt, hat man mir ausdrücklich abgeraten. Aber ich habe meinen Zustand nicht mehr ertragen.
    Nach der Operation hatte ich eine längere Reise geplant. Wenn du möchtest, kannst du die Flugtickets benutzen. Mach einen neuen Anfang. Entdecke eine neue Welt.
    Was sagt man, wenn man am Ende angekommen ist? Man kann viel sagen oder wenig sagen. Ich könnte sagen, dass ich dich liebe (was ich tue), dass ich alles für dich tun würde (was ich getan habe) und dass ich glaube, du würdest dasselbe für mich tun.
    Ich habe dafür gesorgt, dass du erst nach neun Monaten informiert wirst. Lange genug, um meine Abwesenheit zu begreifen. Lange genug, um ein Kind zu zeugen und auszutragen. Lange genug, in anderen Worten, um sich radikal zu verändern. Deswegen habe ich eine Frage an dich:
    Was hast du während meiner Abwesenheit getan?
     
    Als David das Buch zu Ende geschrieben hatte, weinte er.
    Egal, wie sie gestorben war, dachte er, ob tatsächlich oder nur in seiner Vorstellung, er wurde zwangsläufig von einem Gefühl der Mittäterschaft gequält. Die Kunst war kein Exorzismus, zumindest für den Künstler nicht, und David wusste noch mehr: Es gab keine Detectives, keinen Auftragsmörder, es gab nichts. Nur nichts. Und dann, weil seine Wünsche in Erfüllung gegangen waren, ereilte ihn eine noch finsterere Erkenntnis: Er würde seine Schuldgefühle niemals abschütteln können und für immer in diesem Zustand verharren. So kam es, dass der David, der sich nun vom Küchenstuhl erhob und in die Welt hinausging, derjenige, der weiterlebte wie in der Vergangenheit, nicht mehr sein konnte als halbreal. Ein Avatar.
     
    U ND SO ENDETE D AVIDS B UCH :
     
    Pepin fuhr zur Wohnung zurück, ihm war schlecht von der Nie derlage, die er erlitten hatte, vom langen Warten hinter der Absperrung am Museum, dem endlosen Herumlaufen und Nachfragen, bis ihm schließlich nichts Besseres mehr eingefallen war, als nach Hause zu flüchten.
    Als er vor dem Haus ankam, sah er sein Spiegelbild in der Eingangstür, eine von oben bis unten weiße, von einer dicken Staubschicht bedeckte Gestalt. Der Pförtner war verschwunden, alle Monitore ausgeschaltet und der Fahrstuhl anscheinend auf der Etage der Pepins stecken geblieben. Auf der Glasscheibe in der Tür, die ins Treppenhaus führte, stand ein rotes E XIT aufgemalt.
    Wie man das oft in Träumen tut, rannte er die Treppe wie im Mondspaziergang hinauf, mit langen Luftsprüngen von Absatz zu Absatz, immer zehn Stufen auf einmal. In Wirklichkeit rannte er nur.
    Er blieb kurz vor der Wohnungstür stehen, die einen Spalt breit offen stand, dann ging er direkt in die Küche, wo Alice geduscht und in sauberen Klamotten am Küchentisch saß, vor sich einen Teller Erdnüsse. Der kleine Mr. Peanut auf der blauen Blechdose tippte sich lächelnd an den Zylinder. Sie hatte sich müde geweint, ihre Wangen waren zerknittert, die Stirn eingedrückt, die Augen gerötet, die Haut von nass glänzenden Streifen überzogen wie bei einem verheulten Kleinkind. Überall lagen Manuskriptseiten verstreut, und eine davon hielt sie in der Hand.
    Er blieb wie angewurzelt stehen.
    »So lässt du es zu Ende gehen?«, fragte sie. »Ist es das, was du willst?«
    »Wo hast
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