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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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wurde.
    In der Rotunde, unter der Kuppeldecke und den riesigen Fenstern, durch die gleißend helles Licht in die Halle fiel, stand das Skelett eines Barosaurus, dessen Knochen so braun waren wie das Holz antiker Galeonen. Das Tier hatte sich auf die Hinterbeine gestellt, um seinen Nachwuchs gegen einen Allosaurus zu verteidigen. Mit Dinosauriern kannte Pepin sich aus; Spellbounds DinAgon I und II waren weltweite Verkaufsschlager gewesen. Das Hintergrundgeräusch des Saales klang angemessen: Absätze klackten über den Marmorboden, das Echo vervielfacht und verästelt und so laut wie Pferdehufe; dahingesagte Sätze wurden so glasklar durch den Raum getragen – »Den Blauwal finden Sie ein Stockwerk tiefer«, sagte ein Führer –, als wären sie für Pepin selbst bestimmt; und alle widerhallenden Gespräche wurden von der Akustik der achteckigen Decken- und Wandstruktur verzerrt, bis man meinte, der Saal selbst murmele vor sich hin.
    In einem Film von Alfred Hitchcock, dachte Pepin, würde ich jetzt in der Schlange am Eintrittskartenschalter stehen, während meine Frau hinter mir im Bild erscheint. Er sah sich ständig nach ihr um, während er sich langsam an den Schalter heranschob und nach einer gefühlten Ewigkeit seine Eintrittskarte erwarb. Er nahm einen Lageplan mit und versuchte seinen Standpunkt darauf zu finden; er hatte keine Ahnung, wie er Alice finden sollte, bis er ihre Stimme so dicht an seinem Ohr hörte, als wären sie mit einem Dosentelefon verbunden.
    »Anthony«, sagte sie, »hör auf damit, bitte .«
    Wundersamerweise durchquerte sie vor seiner Nase den Saal und scheuchte dabei ihre Klasse vor sich her, die gerade die Schmetterlingssammlung auf der gegenüberliegenden Seite der Rotunde verlassen hatte. Ihre Schüler bildeten einen Mob aus Latinos, Schwarzen, Weißen, Asiaten und Indern, die Mädchen waren ausflugsangemessen gekleidet, die Jungen trugen Baggy Pants und schwachsinnig bedruckte T-Shirts. Die Baseballkappen waren schräg aufgeschraubt, mit seitlich abstehendem Schirm, und alle Kinder fraglos derselben Spezies angehörig, alle von derselben traurigen, häuslichen Gewalt gezeichnet und mit ähnlich dysfunktionalem Hirn ausgestattet.
    Beschatte sie, dachte er. Lass sie nicht aus den Augen. Fang den Räuber ab, falls er auf den Plan tritt. Und dann, falls es so weit kommt, tischst du ihr irgendeine Geschichte auf und nimmst sie mit.
    Die Schüler zeigten dem Wachpersonal ihre Eintrittskarten vor und betraten den Saal mit den asiatischen Säugetieren, während Pepin sich in sicherem Abstand dahinter hielt. Hier war es ruhiger, ihr Schritt verlangsamte sich, die Kinder brachen aus der strengen Formation aus und drängten sich vor den Exponaten, ließen die Trennscheiben beschlagen und rissen Witze, bevor sie weiterzogen. Seine Aufmerksamkeit spaltete sich auf, denn er würde immer auch nach Möbius Ausschau halten müssen; trotzdem wurde er nun, da er Alice gefunden hatte, ruhiger, die niedrige Decke schien sie zu umfangen und zu beschützen, der kleinere Saal den Ausblick zu verengen und zu beschränken. Eigentlich war es recht vergnüglich, ihr zu folgen, eine selten ausgelebte Phantasie: seine Frau in ihrer Welt zu beobachten, in ihrem Element, und zu sehen, wie ihre Schüler – die seiner Einschätzung nach zwischen zwölf und vierzehn Jahre alt waren – auf sie reagierten. Was für eine Mutter sie abgegeben hätte. Ein bis auf das weiße, eingestickte A auf dem Schirm seiner Baseballkappe ganz in Schwarz gekleideter Latino – schwarze Hose, schwarzes Hemd, schwarze Turnschuhe – näherte sich Alice, um ihr eine Frage zu stellen. Sie beugte sich vor und legte ihm eine Hand auf den Arm – sie wusste, dass allein die Frage zu stellen in seinen Augen ein Zeichen von Schwäche war, völlig untypisch und deswegen unbedingt positiv zu verstärken, und noch während sie antwortete, öffnete sich sein Gesicht und wurde hellwach, wie gewärmt durch das sanfte Licht ihrer Aufmerksamkeit. Pepin kam näher heran und versuchte zu lauschen, er war von der Szene so gerührt, dass er Alice am liebsten umarmt hätte. Aber es war zu riskant, dicht neben ihr zu stehen, deswegen zog er sich, wie schon auf der Herfahrt bei Möbius, in ihren toten Winkel zurück.
    Nun bewegten sie sich nach rechts, in den Raum hinein, in dem die Völker Asiens ausgestellt wurden. Aus den Lautsprechern dudelten Kotoklänge, und obwohl diese Musik ihm nie harmonisch oder rhythmisch vorgekommen war, wirkte sie nun doppelt
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