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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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JFK nach Brisbane mit Zwischenstopp in L. A. Die Welt war virtuell geworden, und wenn man über die entsprechenden Mittel verfügte, dann konnte man sich darin so frei bewegen wie in einem Videospiel. Man wählte einen beliebigen Punkt auf dem Globus, und wenige Mausklicks und ein paar Stunden später war man da.
    Er zog sich an, steckte ihre Reisepässe ein und ging.
    Auf dem Weg zu der Schule, an der Alice unterrichtete, fuhr er dem Berufsverkehr entgegen; wie ein Verrückter raste er den West Side Highway hinauf, dann den Henry Hudson und schließlich den Saw Mill River Parkway; er ging erst vom Gas, als er das Schulgelände erreicht hatte, denn nun würde es darauf ankommen, seine Gedanken, seine Rede, seinen Tonfall zu entschleunigen.
     
    Alice arbeitete an einer staatlichen Schule für Teenager mit psychischen Störungen und Missbrauchserfahrungen. Das Gebäude war aus Betonblöcken zusammengesetzt; die langen Korridore waren in grelles Neonröhrenlicht getaucht. Warum fühlte seine Frau sich von diesem Ort angezogen? Weil die Kinder hier gar nicht genug bemuttert werden konnten? Oder weil sie, genau wie Alice, an einem Punkt in ihrem Leben steckengeblieben waren?
    Vor ihm auf dem Parkplatz war eine große Schülergruppe dabei, sich auf Busse zu verteilen. Er sah, dass Alice die Kinder dirigierte und eine Strichliste führte, während die Mädchen und Jungen einstiegen. Als sie ihn entdeckte, erstarrte sie. Sie wusste nicht, was sie von seiner Anwesenheit an diesem Ort halten sollte, und im Augenblick ihrer Reglosigkeit wurde ihm noch einmal bewusst, wie absolut bemerkenswert ihre Veränderung war. Sie war inzwischen so dünn – dünner noch als zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens – und ihre Wangenknochen traten so weit hervor, dass ihre Lippen breiter und voller wirkten, während das unverändert schöne Haar ihr Gesicht einrahmte. Er beschloss, diesen Anblick in Erinnerung zu behalten und in die Reihe der Polaroids einzufügen, die zu Hause an der Kühlschranktür hingen. In der Kombination mit ihren Depressionen ängstigte die neue Schönheit ihn, aber genauso erwärmte sie ihm das Herz. Wie eine schwere Krankheit konnte auch große Schönheit den Betrachter verunsichern. Vor zwei Tagen hatte er abends nach einem Streit, in dessen Verlauf er sie angefleht hatte, unverzüglich zum Arzt zu gehen, neben ihr im Badezimmer gestanden, um ihr ein Glas Wasser zu reichen. »Ich will sehen, wie du die Tabletten einnimmst«, hatte er gesagt und die Medikamente in die Höhe gehalten. »Mach den Mund auf«, hatte er gesagt, nachdem sie geschluckt hatte. »Die helfen nichts«, hatte Alice geschluchzt. »Doch, bald«, hatte er geantwortet und Alice im Arm gehalten, bis sie sich losgemacht und an ihm vorbeigezwängt hatte, um ins Bett zu kriechen. Dort weinte sie weiter, seinen Berechnungen nach erstaunliche zwei Stunden und achtunddreißig Minuten. Sie gab sich der Depression ebenso hemmungslos hin wie früher ihren schlimmsten Fressattacken, und wieder kam ihm der irrige Gedanke, den Kummer aus ihr herauslieben zu können.
    »Was willst du?«, fragte sie.
    »Ich muss mit dir reden.«
    »Ich habe zu tun.«
    »Es ist wichtig.«
    »Dann fasse dich kurz.«
    Schon wurden ihre geröteten Augen feucht, so als habe allein sein Anblick eine Zündschnur in Brand gesteckt. Er konnte fühlen, wie sie sich beide in Erwartung des Knalls verspannten. Schließlich übergab sie ihr Klemmbrett einer Kollegin, führte ihn ins Gebäude und bis in ihr Klassenzimmer.
    »Ich möchte, dass du einmal tief durchatmest«, sagte er. »Hör mich einfach an. Letztes Jahr hast du vorgeschlagen, dass wir von hier weggehen. Einfach so. Zweck ohne Methode. Und nun bin ich so weit. Ich habe zwei Flugtickets gekauft. Für dich und mich, für heute Abend. Nach Australien. Wir hauen einfach ab.«
    Ihre Arme waren verschränkt. Sie schaute zu ihm auf. »Was redest du?«
    »Ich rede davon, nicht einmal die Koffer zu packen. Ich rede davon, einfach zu verschwinden, auf der Stelle, du und ich, ohne den Entschluss zu hinterfragen.«
    »Du bist ja verrückt«, sagte sie und drehte sich zum Gehen um.
    Er packte ihren Arm, heftiger, als er beabsichtigt hatte. »Nein«, sagte er, »bin ich nicht.«
    Sie sah auf seine Hand. »Du tust mir weh.«
    »Du kannst nicht einfach verschwinden, ohne mich anzuhören. Ich muss auch was sagen dürfen.«
    »Ich höre.«
    »Komm mit. Sofort.«
    Sie wartete, bis er ihren Arm losgelassen hatte. »Du kommst immer zu spät«, sagte
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