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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut
Autoren: Adam Ross
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war. Er war ein Vater. Sie waren eine Familie. Nichts könnte dieses Wissen erschüttern.
    In diesem Moment saß David mit Grace auf dem Wohnzimmerteppich. Es war später Vormittag, draußen strahlte die Sonne, und Alice trat ans Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen. David hatte Grace’ Lieblingskrabbeldecke auf dem Boden ausgebreitet. Darauf war eine Wiese abgebildet, durch die ein Bach lief, grüne Hügel, sogar ein Jägerzaun. Es gab einen Spiegel, in dem sie ihr Gesicht betrachtete, und auf den Stoff waren kleine, weiche Figuren geklettet, Kühe und Schafe und Hühner und Pferde, die von unten zu Grace hinaufsahen. Sie musterte ihr Gesicht im Spiegel und dann die Tierschar, und dann riss sie gleichzeitig Arme und Beine hoch und spreizte die Finger wie eine Puppenspielerin, sie nahm die Haltung einer Fallschirmspringerin ein. Sie kicherte glücklich, was ihn zum Lachen brachte.
    »Was tut ihr zwei da?«, fragte Alice.
    Glücklich sah er sie an. »Nichts«, sagte er. »Absolut nichts.«
     
    Als Pepin aufwachte, lag er diagonal auf dem Bett ausgestreckt. Erst als er sich aufsetzte, bemerkte er, dass er nackt war. Alice war längst zur Arbeit gegangen, und als er das begriff und dazu noch sah, wie spät es war – kurz vor acht –, wurde ihm flau vor Angst. Er saß aufrecht im Bett, was für ihn allein schon wegen der enormen Speckrolle zwischen Brust und Oberschenkeln allmählich zu einer Anstrengung wurde, und wieder geriet er über seinen Bauch ins Grübeln. Er fühlte sich an Alice zu ihren schwersten Zeiten erinnert, als ihre Bewegungen ihn aufgeweckt hatten und er ihre Masse in seinem Rücken gespürt hatte, die Körperwärme, die sie abgestrahlt hatte, so als wäre er mit einer Bärin ins Bett gegangen. Wenn sie damals aus dem Bett gestiegen war, hatte sie sich so ähnlich bewegt wie er jetzt. Sie hatte sich auf den linken Ellenbogen gestützt, ein Bein über das andere geschoben und dann den rechten Arm nach vorn geschleudert wie zum Schlag, um beide Gliedmaßen über die Bettkante hinauszubrin gen. Anschließend folgte ein Augenblick des Balancierens, in dem sie aussah wie eine in der Bewegung erstarrte Kung-Fu-Kämpferin. Nach einer rückwärtigen Schaukelbewegung stieß sich Alice dann mit dem linken Arm kraftvoll ab und kam endlich hoch – wie ein Schiff, das sich im Wasser von selbst aufrichtete. Sie musste sich kurz ausruhen, beide Hände auf der Matratze, die Füße am Boden und den Rücken ihm zugekehrt. »Eines Tages werde ich es nicht mehr schaffen«, sagte sie. »Dann liege ich hier für immer.« Ihre Worte kamen als Gurgeln aus der Schlafapnoemaske, deren Schlauch Alice’ Haarpracht zerteilte und an ihrem Hinterkopf herabhing wie ein langer Zopf. Das blickdichte Plastik hatte die Farbe einer Garnelenkruste, und als sie sich zu ihm umdrehte, fiel ihm auf, dass der Filter der Maske aussah wie eine Schweinsnase. Sofort musste er an den Flug nach Hawaii denken, als die Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke gefallen waren und die Passagiere sie im Gerüttel und Geschüttel angelegt und einander entgeistert angesehen hatten. Ein Flugzeug voller Schweine, hatte er gedacht. Eine fliegende Sauherde. Wer hätte damit gerechnet, im Augenblick des Todes so auszusehen?
    Dieser letzte Gedanke ließ ihn zum Computer taumeln. Möbius hatte ihm gesagt, er solle sich von ihm fernhalten, und genau das würde er tun, er würde sich Alice schnappen und weit, weit weggehen, an irgendeinen Ort, an den ihnen der kleine Irre nicht folgen konnte, an einen sicheren Flecken, wo Alice sich erholen konnte, wo sie beide sich erholen konnten, und wenn sie dazu um die halbe Welt fliegen müssten. Ihm schwebte ein Gespräch vor, das an jenes anknüpfte, das er und Alice vor ihrem Verschwinden geführt hatten. Es war um das Great Barrier Reef gegangen; und dass er nichts Genaues über die Lage des australischen Naturwunders wusste, bewies einmal mehr seine mangelnde Neugier. Also googelte er drauflos. Das Riff lag vor Queensland an der Nordostküste des Kontinents und war, wie er bei Wikipedia nachlesen konnte, das größte von lebenden Organismen – Milliarden winziger Steinkorallenpolypen – erschaffene Bauwerk der Welt. Dort wimmelte es nur so vor Leben, dachte Pepin, das Riff beherbergte eine ordentliche Flora und Fauna, dort würden auch sie unterkommen! Das wünschte er sich: Teil eines Lebensteams zu sein. Sekunden später war er bei Expedia und buchte noch für denselben Abend zwei Tickets für einen Nachtflug von
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