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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming
Autoren: Douglas Coupland
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aus dem Haus trieben. Sie hastete in ihrem sauberen, weißen, leblosen Haus umher, ohne jemanden zu haben, mit dem sie reden oder den sie anrufen konnte. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf sei voller Larven. Ihr Arzt meinte, das seien die »Wechseljahre«, und Marilyn sagte: »Verdammt, warum können Sie nicht einfach Menopause dazu sagen?« Der Arzt sagte: »Wir sehen die Dinge heute anders. Das ist keine Ende. Es ist ein Anfa...« Marilyn sagte: »Warum halten Sie nicht verdammt noch mal Ihre Klappe und verschreiben mir einen Koffer voller Pillen gegen dieses beschissene Feuer.« Das Feuer ging nicht weg, und auch die Pillen konnten es nicht löschen. Mal weinte sie, dann war sie wieder in Hochstimmung, aber meistens war sie verwirrt und überhitzt. Und dann wurden die Rechnungen fällig, und all das Geld war weg. Sie hatte immer ihren Stolz gehabt, und sie gönnte Susan den Triumph nicht, zu sehen, wie ihre Mutter sich mit Honoraren für Interviews über Wasser hielt, daher gab sie keine, nachdem Susan nach Kalifornien geflogen war. Doch gleichzeitig hoffte sie, Susan würde bemerken, dass ihre Mutter nichts tat, um zu Geld zu kommen, und dass sie ihr dann vielleicht verzeihen würde. Und wenn Susan ihr verzeihen würde, dann würde sie Marilyn vielleicht eines Tages zu ihren Sprößlingen lassen, die sie so verdächtig auffällig ins Gespräch gebracht hatte. Am Ende hatten Marilyns Stolz und ihre Hoffnung ihr keinen Pfennig mehr gelassen. Sie rief die Fernsehsender an, aber es war zu spät, die Susan-Colgate-Geschichte abgestanden. Marilyn konnte nichts Neues dazu beitragen. Sie verscherbelte alles, was sie entbehren konnte, veranstaltete noch ein paar Garagenflohmärkte und mietete sich dann ein billiges Apartment. Sie entwickelte eine krankhafte Angst davor, ihren Unterleib zu berühren. Sie fürchtete sich vor ihren Eileitern und ihrem Uterus, überzeugt, dass sie vertrocknet waren wie Aprikosen oder Chanterelle-Pilze, und sie glaubte es nicht ertragen zu können, sie als verschrumpelte Knoten in sich zu spüren.
    Fruchtbarkeit. Babys. Attraktivität. Liebe. Diese Worte waren in ihrem Kopf so untrennbar miteinander verbunden wie Rohre, Kabel und Balken in einem Gebäude. Und jetzt war sie plötzlich unfruchtbar. Eine Zimmerpflanze. Wie auf ein Stichwort hin begannen Teile ihres Gesichts zu wandern und sich zu verschieben. Zehn Jahre alte Silikoninjektionen verwandelten sich unter ihrer Haut in eine Art vagabundierende Kontinente, und Marilyn verließ immer wieder fluchtartig Supermärkte und Drugstores in Cheyenne und Umgebung, weil sie auf Verkäuferinnen, die einen Wimpernschlag zu lange auf die unbeweglichen, gefühllosen Beulen unter ihrem linken Auge, auf ihrer rechten Wange oder ihrem Nasenrücken starrten, mit spitzen Schreien reagierte. Ihre Energie schwand. Bald war sie nicht mehr in der Lage, sich morgens aus dem Bett zu quälen. Und dann setzten ihr die Schergen des Vermieters eine Frist von einem Monat, um die Wohnung zu räumen. Also warf sie alles, was hineinging, in den BMW (den aufzugeben sie sich weigerte) und verkaufte, was übrig blieb, an einen Mann von einem Auktionshaus. Sie landete auf der Straße, wie es so viele Menschen vor ihr getan hatten, ausgestoßen von einer Welt, der es inzwischen scheißegal war, ob sie verbrannte, zur Mumie zusammenschrumpelte, vom Erdboden verschwand oder von einem Raumschiff in den Himmel gesogen wurde.
    Und dann, eines Tages in Colorado, hörte es plötzlich auf. Ihr Kopf wurde wieder klar, und es war, als seien die Monate der Hölle nichts als ein Fieber gewesen. Obwohl sie ihren Mann, ihr Haus und fast ihren gesamten Besitz verloren hatte, fühlte sie sich - frei.
    Sie mietete in der Nähe der Air-Force-Basis von Cheyenne, wo es üblich war, die Miete wöchentlich zu zahlen, ein Zimmer. Sie änderte ihren Namen in Fawn, das englische Wort für Rehkitz, weil sie eines Morgens hinter dem Haus, in dem sie wohnte, ein Rehkitz sah, und Heatherington, weil das der falsche Name war, den man ihr im Hinterzimmer von Dons ehemaliger Stammkneipe gegeben hatte, als sie ihre Piaget-Armbanduhr gegen eine neue Identität eintauschte. Der gute alte Duran hatte gut daran getan, Marilyn zu einer Ausbildung zu bewegen, die nicht auf Schönheit basierte, damit sie durchs Leben kan. Sie ging wieder dazu über, ihn in ihre Gebete einzuschließen, wenn sie denn betete, was nicht allzu oft der Fall war. Er war seit etwa fünfzehn Jahren tot. 1983 hatte sie gelesen, dass er mit
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