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Miss Wyoming

Miss Wyoming

Titel: Miss Wyoming
Autoren: Douglas Coupland
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seinem Wagen in die Seite eines Molkereilasters geprallt war. Sie sagte: »He, Durry, zumindest klinge ich wie eine Nachrichtensprecherin im Fernsehen. Schlaf gut, Schatz.«
    Die Fähigkeiten, die Marilyn vor so vielen Jahren in ihren Abendkursen erworben hatte, verhalfen ihr zu einem Job bei einer Firma namens Calumet Systems, die, soweit sie begriffen hatte, UFOs für die Regierung baute. Niemand dort erkannte in »Fawn« Marilyn, trotz ihrer Wiedervereinigung mit ihrer Tochter, die erst vor kurzem im Fernsehen gesendet worden war. Sie hatte sich ein völlig neues Erscheinungsbild zugelegt. Sie war jetzt eine kurzhaarige Brünette mit pockennarbigem Teint, die ihre Polyester-Klamotten, mit denen sie in einem früheren Leben nicht einmal den Dreck von den Winterreifen in der Garage gewischt hätte, von der Stange kaufte. Sie war entspannt und heiter und stolz darauf, ihrer Regierung dabei zu helfen, UFOs bei Calumet herzustellen. Das ging ein Jahr lang so weiter. Sie deckte sich beim Trödler mit den Kleinigkeiten ein, die sie fürs tägliche Leben brauchte, und einmal im Monat ging sie mit zwei Kolleginnen von Calumet ins Kino. Die Frauen löcherten sie wegen ihres BMWs, doch sie behauptete, ihr Bruder hätte ihn ihr geschenkt. Sie sah fern. Sie war glücklich, denn sie glaubte, sie könne dieses bescheidene Leben bis zu ihrem Tod weiterführen und würde niemals wieder so entsetzlich viel Energie darauf verwenden müssen, ein komplizierter Mensch mit verwickelten Beziehungen zu sein, die sie am Ende doch nur den letzten Nerv kosteten.
    Sie tippte wie ein Specht, selbst mit langen Fingernägeln. Sie war so gut, dass ein Mann von einer anderen Firma geholt wurde, um ihre Fähigkeiten in Augenschein zu nehmen und ihre »Metrik« zu analysieren. Er lobte Marilyn wegen ihrer niedrigen Fehlerquote und wies sie auf ihre größte Schwäche hin, nämlich dass sie es häufig unterließ, den Anfang von Sätzen, die mit einem T begannen, großzuschreiben. Der Mann hatte sie angelächelt, bevor er ging, und in diesem Moment schwante Marilyn, dass er womöglich über ihre wahre Identität Bescheid wusste. Er hatte sie gefragt, ob sie schon jemals woanders gearbeitet habe, und sie hatte verneint. Das klang vermutlich wie eine dreiste Lüge, aber das war es gar nicht. Ihr Job bei Mr. Jordan, dem Spam-Mann, gehörte in eine ganz andere Zeit, und als Tippse hatte sie nur einmal gearbeitet, in einem Büro des Trojan-Atomkraftwerks, um Geld für Susans Kleider zu verdienen.
    In jener Nacht loderte das Feuer in ihrem Körper wieder auf, und diesmal war es schlimmer als vorher, vielleicht weil ihr der Rückfall wie ein furchtbar schlechter Witz vorkam und sie so viel auf sich genommen hatte, um Marilyn Colgate, die brennende Frau, auszulöschen. Die Einsamkeit, die sie so wirkungsvoll bekämpft zu haben glaubte, begann sie innerlich zu zerreißen. Sie meldete sich bei Calumet krank. Sie saß schreiend und weinend in ihrem Wagen und fuhr nach Kalifornien, um Susan um Verzeihung anzuflehen, obwohl sie wusste, dass das nur ein schöner Traum war.
    Sie parkte nicht vor dem Cape-Cod-Haus am Prestwick Drive, sondern vor einem anderen ein Stück die Straße hinunter. Es war die Nacht vor der Müllabfuhr. Niemand sah sie. Sie nahm Susans kleine Zink-Mülltonne und warf sie auf die Rückbank ihres Wagens. Dann fuhr sie auf einen Pay-Less-Parkplatz hinter dem Beverly Center und sezierte den Inhalt der Tonne: zwei Becher fettarmer Joghurt, eine ungelesene Zeitung, drei Q-Tips und eine Telefonrechnung, auf der achtunddreißig Ferngespräche mit immer demselben Teilnehmer im San Fernando Valley verzeichnet waren, sowie eine Quittung für ein Klettergerüst, ausgeliefert an eine Adresse im Valley. Bingo. Sie ging in eine Telefonzelle und wählte die Nummer im Valley, und eine Männerstimme sagte: »Hal/o?« Marilyn sagte, sie sei von der Firma, die das Klettergerüst geliefert hatte, und wolle fragen, ob sie damit zufrieden seien. »Eugene betet es an - er wohnt praktisch darauf. Und es verleiht dem Garten tatsächlich eine gewisse Harmonie.« 
    »Das ist ja schön«, sagte Marilyn. »Braucht Eugene vielleicht noch etwas anderes für den Garten?«
    »Ach, ihr Vertreter gebt einfach keine Ruhe, was? Nicht jetzt, aber er entdeckt gerade seine Vorliebe für Flugzeuge, also wundern Sie sich nicht, wenn wir in einem halben Jahr die Junior Sopwith Camel bestellen.« 
    »Wir freuen uns drauf.«
    Das Gespräch war beendet. Marilyn ging in den Pay-Less und
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