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Miss Winbolt ist schockiert

Miss Winbolt ist schockiert

Titel: Miss Winbolt ist schockiert
Autoren: Sylvia Andrew
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knarrte beunruhigend, sodass sie jede weitere Bewegung vermied.
    Die Zeit verging sehr langsam, und Emily wurde schwindelig von der Anstrengung, sich in der unbequemen Position aufrecht zu halten. Gerade als ihre Lage unerträglich wurde, sah sie jemanden den Pfad entlang in Richtung Dorf laufen. Ihre Erleichterung kannte keine Grenzen. Will musste beschlossen haben, einmal zeitig nach Hause zu gehen.
    „Will!“, schrie sie. „Will, hilf mir!“ Er hatte sie nicht gehört – er war weitergegangen. „Will!“, rief sie wieder. „Ich bin hier! Halt an, bitte, halt an! Bist du taub? Um Himmels willen! Ich sitze hier seit Stunden fest und brauche deine Hilfe!“
    Erleichtert sah sie, dass der Mann stehen geblieben war und sich nach ihr umblickte. Er kletterte den Hang hoch und kam auf den Baum zu. Erst als er unter ihr stand, erkannte sie, dass es nicht Will Darby war, sondern ein Fremder.
    „Eine junge Dame in Schwierigkeiten, die mich beim Namen ruft! Kennen wir uns etwa?“
    Der Fremde war kein Landarbeiter. Seine Bekleidung wirkte nachlässig. Er trug ein weit aufgeknöpftes Hemd und darüber einen offenen Gehrock. Seine Stiefel und seine Hose waren zwar verstaubt, aber von guter Qualität, und seine Ausdrucksweise war die eines Gentlemans. „Nein“, erwiderte Emily, die trotz ihrer misslichen Lage daran dachte, dass ihr Haar zerzaust und ihr Kleid zerrissen war, und dass sie schockierend viel nacktes Bein zur Schau stellte. „Ich …“
    „Woher kennen Sie denn meinen Namen?“
    „Ich habe Sie mit jemandem verwechselt“, erklärte sie.
    „Ach so“, erwiderte er. „Und was machen Sie da oben auf dem Baum?“
    Emily fühlte sich schrecklich. Nach dummen Fragen war ihr wahrhaftig nicht zumute. „Was glauben Sie denn, was ich hier mache?“, fragte sie gereizt. „Ich sitze fest. Ich kann nicht hinunter!“
    Er zog seinen Gehrock aus und sprang hoch, um einen Blick über die Hecke zu werfen. „Warum klettern Sie denn nicht auf der anderen Seite vom Baum? Das erscheint mir viel einfacher.“
    „Weil hinter der Eiche ein tonnenschwerer Stier auf mich wartet. Er heißt Black Samson und ist in der ganzen Gegend für seine Aggressivität bekannt. Ich habe keine Lust, aufgespießt zu werden. Egal wie Sie heißen, hören Sie auf, unnütze Fragen zu stellen, und helfen Sie mir so schnell wie möglich, bevor ich mich nicht mehr halten kann und hinunterfalle.“ Ihre Stimme zitterte, und sie war den Tränen nahe.
    „Wir werden sehen, was sich machen lässt. Ich habe schon einmal eine Katze von einem Baum geholt, aber mit einer erwachsenen Frau ist es schwieriger.“ Er untersuchte die Hecke, die voller Dornen war, blickte den Abhang hinunter und musterte den Ast, auf dem sie saß. „Sie sind außerhalb meiner Reichweite. Ich muss Hilfe holen.“
    „Nein!“ Emily war am Ende ihrer Kräfte. „Ich halte das nicht mehr lange durch. Der nächste Hof ist viel zu weit entfernt! Sie müssen mir jetzt helfen!“
    „Gut, können Sie vielleicht etwas weiter vorrutschen, sodass Sie die Dornenhecke hinter sich lassen? Dann könnten Sie langsam hinuntergleiten, und ich werde Sie auffangen. Ganz sachte, sonst rollen wir beide gemeinsam den Abhang hinunter. Ja, so ist es gut. Vorsichtig! Ja, so wird es gehen. Langsam …“
    Es krachte, und Emily schrie erschrocken auf, als der Ast abbrach und sie plötzlich in die Arme ihres Retters fiel. Er versuchte, das Gleichgewicht zu halten, doch der Abhang war zu steil. Sie fielen beide hin und rollten über den harten Grund. Er hielt sie die ganze Zeit fest und schützte sie vor den schlimmsten Unebenheiten. Schließlich kamen sie in einer grasbewachsenen Mulde zum Halt. Einen Augenblick blieben sie regungslos liegen. Dann sagte er: „Das war abenteuerlich. Sind Sie verletzt?“
    Wie benommen und außer Atem lag Emily in seinen Armen. Die Welt schien ganz in den Hintergrund getreten zu sein. Sie befand sich in einer Oase der Ruhe und freute sich, dass all die Qualen der vorangegangenen Stunden ein Ende hatten. Schließlich schüttelte sie den Kopf, um seine Frage zu beantworten.
    „Sind Sie sicher?“ Er beugte sich über sie, sein Gesicht war ganz nah. Ein attraktives Gesicht, dachte sie verträumt, ein freundliches und humorvolles Gesicht. Die Lachfältchen in den Winkeln seiner dunkelblauen Augen sprachen dafür, dass er gern lachte. Er war braun gebrannt und benötigte offenkundig eine Rasur. Im Augenblick lachte er nicht, sondern betrachtete sie mit ernster Miene. Wie
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