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Miss Winbolt ist schockiert

Miss Winbolt ist schockiert

Titel: Miss Winbolt ist schockiert
Autoren: Sylvia Andrew
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liebenswürdig, dachte sie, er macht sich tatsächlich Sorgen um mich.
    Sie war überrascht, wie gut ihr das tat. Seit einiger Zeit wurde sie von Einsamkeit heimgesucht, sogar dann, wenn sie sich in Gesellschaft derer befand, die sie am meisten liebte. Mrs. Gosworth hatte mit ihrem Gerede Zukunftsängste in ihr geweckt, die sie zuvor erfolgreich verdrängt hatte. Sie sehnte sich danach, umsorgt zu werden. Und es war nicht nur nett, mit solcher Aufmerksamkeit bedacht zu werden, es war ausgesprochen angenehm, einen beschützenden Arm um sich zu spüren.
    „Darf ich Ihnen aufhelfen?“
    Sie überlegte einen Moment. Das Gefühl der Nähe zu einem Männerkörper war fremd, aber zweifellos anziehend. „Ich bin mit meiner Lage ganz zufrieden, danke“, antwortete Emily und lächelte ihn an.
    Später, als sie darüber nachdachte, was dann folgte, fand sie keine andere Erklärung – sie musste bei ihrem Sturz mit dem Kopf aufgeschlagen sein. Vielleicht hatte auch die schreckliche Begegnung mit dem Stier ihr vorübergehend den Verstand geraubt. Was auch immer der Grund gewesen war, sie schien nicht ganz sie selbst gewesen zu sein.
    Emily Winbolt war eine warmherzige und humorvolle Frau, auch wenn viele, die sie nur oberflächlich kannten, davon keine Notiz nahmen. Sie verhielt sich anderen gegenüber normalerweise kühl und distanziert und vermittelte den Eindruck einer wohlerzogenen und untadeligen jungen Dame. Ihr Verhältnis zu ihrem Großvater, ihrem Bruder und ihrer Schwägerin war von großer Zuneigung und Herzlichkeit geprägt. Doch schlechte Erfahrungen hatten sie in Bezug auf das andere Geschlecht misstrauisch gemacht, und nur ihr Humor hatte sie vor Verbitterung bewahrt.
    Ihr Verhalten nach dem Sturz war so derartig ungewöhnlich, dass keiner, der sie kannte, es für möglich gehalten hätte.
    Während der Fremde in ihrer Nähe war, schien ihr indes alles vollkommen selbstverständlich.
    Er legte die Stirn in Falten. „Auf jeden Fall sollten wir überprüfen, ob Sie sich verletzt haben. Können Sie Arme und Beine bewegen?“
    Sie streckte sich aus. „Sehen Sie, abgesehen von ein paar Kratzern ist alles an mir heil geblieben.“ Ihre Bewegung brachte sie noch näher in Kontakt mit seinem Körper. Ihre Wange berührte seine Brust, und Emily spürte die Wärme seines Körpers durch den dünnen Stoff seines Hemdes. Sein Herz schlug schnell …
    Er lächelte sie freundlich an. „Sie haben bei Ihrem Sturz die halbe Hecke mitgenommen“, bemerkte er und zupfte vorsichtig ein paar Blätter und Ästchen aus ihren Haaren. Emily fühlte sich wohl. Ihre Einsamkeit und all die anderen Ängste schienen wie verflogen. Dieser Mann war ein Fremder, den sie vielleicht niemals wiedersehen würde, aber sie hatte sich seit sehr langer Zeit nicht mehr so zu einem anderen Menschen hingezogen gefühlt. Er blickte ihr in die Augen, und sie wusste, dass er sie küssen würde. Der Gedanke beunruhigte sie jedoch überhaupt nicht. Zärtlich hob er ihr Kinn mit einem Finger, um ihre Lippen den seinen anzunähern …
    Zunächst war sein Kuss zaghaft, als wäre er unsicher, wie sie reagieren würde. Doch als er ihre Erwiderung spürte, küsste er immer leidenschaftlicher, ohne es an Behutsamkeit fehlen zu lassen. So ging es eine ganze Weile. Emily verlor sich völlig in den Wonnen der Küsse. Als er sich von ihren Lippen löste, legte sie ihm die Arme um den Hals und zog seinen Kopf wieder zu sich hinunter.
    „Was für ein Glück“, murmelte er. „Als ich mich heute Morgen auf den Weg gemacht habe, rechnete ich nicht damit, in den Armen einer bezaubernden Frau zu landen. Wie heißt du, meine Schöne?“
    Emily verspürte nicht den Wunsch, ihm zu verraten, wer sie war. Alles kam ihr wie Magie vor, wie eine Zeit außerhalb der Wirklichkeit. Emily Winbolt, die sittsame junge Dame, hatte in dieser Zauberwelt nichts zu suchen. Als er ihr Zögern bemerkte, lachte er. „Ich hätte nicht fragen sollen. Auch, wenn es nicht ganz gerecht ist, denn du kennst ja meinen Namen.“
    „Will“, hauchte sie zärtlich. „Obwohl ich ja nicht wusste, dass du so heißt, bevor du es mir verraten hast.“
    „Wer ist denn der andere Will in deinem Leben?“
    Sie hätte antworten können: „Ein Stallknecht meines Bruders“, doch sie vermied es. Sie wollte nicht, dass er wusste, wer sie war, dass ihrem Bruder das ganze Land, das sie umgab, gehörte, und sie in einer schönen Villa im palladianischen Stil wohnten. Sie wollte nicht über ihre Schwägerin reden,
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