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Miss Winbolt ist schockiert

Miss Winbolt ist schockiert

Titel: Miss Winbolt ist schockiert
Autoren: Sylvia Andrew
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spazieren? Oder sollen wir uns in den Salon setzen? Heute Vormittag sind wir allein, denn Philip muss nach Temperley fahren.“
    „Kommst du denn nicht mit, um deinen Vater zu sehen?“, fragte Philip überrascht.
    „Heute nicht, mein Liebster. Ihr habt Geschäftliches zu regeln, und das geht viel besser ohne mich. Nein, Emily und ich werden stattdessen nett im Garten plaudern, nicht wahr, meine Liebe?“
    „Ich dachte, ich könnte …“
    „Enttäusche mich nicht“, bat Rosa mit freundlicher Bestimmtheit.
    Rosa ist die süßeste und sanftmütigste Frau, die ich kenne, dachte Emily, außer, wenn sie so schaut, wie jetzt. Sie gab nach. „Nun gut, lass uns einen Spaziergang durch den Garten machen.“
    „Ja, und lass uns ein wenig reden“, fügte Rosa lächelnd hinzu.
    Es war ein sonniger Tag, und die beiden Damen trugen Hüte und Sonnenschirme, als sie in den Garten traten. Sie spazierten eine Weile und setzten sich dann in den Schatten. Emily schaute sich um. Sie hatte Philip viel geholfen, als er Shearings von seinem Großonkel geerbt hatte. Dessen Hauptinteresse hatte neuen Anbaumethoden auf den Feldern gegolten, und so hatte sich der Garten von Shearings in einem vernachlässigten Zustand befunden. Philip und sie hatten das erste Jahr über hart daran gearbeitet, um dieses kleine Paradies mit seinen blühenden Beeten, schattigen Wegen, Lauben und Brunnen zu erschaffen. Emily seufzte. Sie war froh, dass Philip und Rosa geheiratet hatten. Sie passten hervorragend zueinander. Nichtsdestotrotz war es manchmal schwierig, nostalgische Gedanken an die Vergangenheit zu unterdrücken.
    Rosa klappte ihren Sonnenschirm zusammen und drehte sich zu Emily um.
    „Jetzt kannst du mir endlich erzählen, was gestern passiert ist“, sagte sie.
    „D…das habe ich doch bereits getan.“
    „Ja, natürlich, und ich habe dir geglaubt. Aber das war, bevor ich von diesem fremden Gentleman hörte.“
    „W…was hat er mit mir zu tun?“
    „Das möchte ich gern von dir erfahren, meine liebe Emily. Ich kenne dich. Du bist eine schlechte Lügnerin. Ich vermute, dass du diesen Fremden gestern nicht nur gesehen, sondern wahrscheinlich auch gesprochen hast. Bist du deshalb so spät heimgekommen?“ Sie hielt inne. „Um Himmels willen, ich habe gar nicht daran gedacht … hat er dich etwa angegriffen? Ist er der Urheber all der blauen Flecken und der Schrammen? Sag es mir, Emily, hab keine Angst.“
    „Nein, nein! Es verhält sich ganz anders. Ich habe dir über meine Blessuren die Wahrheit erzählt. Die meisten habe ich mir beim Hochklettern auf den Baum zugezogen.“
    „Und den Rest?“, hakte Rosa nach.
    Emily wurde klar, dass sie ihr die Wahrheit erzählen musste. „Also gut. Ich habe nicht vom Baum hinunterklettern können. Das ist die Wahrheit. Aber ich habe dir nicht alles erzählt.“
    „Was nicht?“
    „Erst nach einer Ewigkeit habe ich jemanden gesehen, den ich für Will Darby hielt. Ich wusste ja, dass er auf seinem Heimweg vorbeikommen würde. Ich rief also laut nach ihm, und er kam. Doch es war nicht Will Darby.
    „Ich wusste es doch! Es war dieser Fremde“, erriet Rosa.
    Emily nickte. „Er versprach, mich aufzufangen, wenn ich spränge, aber der Ast brach, und wir fielen beide hin und rollten den Abhang hinunter. Dabei habe ich mir die anderen Kratzer geholt.“
    „Hat er sich verletzt?“
    „Ich denke nicht. Er ist sehr stark.“
    Rosa nahm ein verträumtes Lächeln auf Emilys Lippen wahr. „Was ist dann passiert?“, fragte sie leise.
    „Ich fühlte mich etwas benommen. Er wartete, bis es mir besser ging und dann …“ Emily mied Rosas Blick und sagte: „Dann bin ich nach Hause gegangen.“
    „Allein? Er hat dir nicht angeboten, dich zu begleiten? Was ist das für ein sonderbarer Mann, der dich nach einem solchen Sturz allein nach Hause gehen lässt! Das ist mir ja ein schöner Gentleman!“
    „Nein, das darfst du nicht denken … er wollte mich begleiten, aber ich habe es nicht zugelassen.“
    „Warum denn nicht?“
    „Er … er hat mich geküsst.“
    „Gegen deinen Willen? Was für ein Schuft!“
    „Nein, so war es nicht. So war es ganz und gar nicht!“ Emily stand auf und entfernte sich ein paar Schritte. Sie drehte sich nicht um und gestand mit gesenkter Stimme: „Ich habe mich von ihm küssen lassen. Freiwillig.“
    Rosa war über diese Aussage so überrascht, dass sie einen Moment lang sprachlos war. Dann murmelte sie: „Ich kann es nicht glauben!“
    „Ich auch nicht! Jedenfalls jetzt
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