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Miss Seeton und der Hexenzauber

Titel: Miss Seeton und der Hexenzauber
Autoren: Heron Carvic
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entfernt war kürzlich eine geheime Gemeinschaft bei einer schwarzen Messe beobachtet und nach Malebury in Sussex vertrieben worden. Es kursierten Gerüchte, daß es mindestens eine Hexenvereinigung in Kent gebe, obwohl bis jetzt noch nichts bewiesen werden konnte. Aber derartige Gerüchte mußten auf fruchtbaren Boden fallen und weitergetragen werden, und dieser Pflicht hatten sich Miss Nuttel und Mrs. Blaine verschrieben. Sie bewohnten gemeinsam ein Haus gegenüber der Autowerkstatt in der Mitte von Plummergens einziger Straße und beobachteten unermüdlich und mit höchster Skepsis das dörfliche Treiben durch die modernen Fenster ihrer Behausung, um anschließend ihre eigene Interpretation der erspähten Vorgänge unters Volk zu bringen. In der Überzeugung, selbst ohne Fehl und Tadel zu sein, betrachteten sie es als ihre Mission, die zahllosen Fehler bei anderen aufzudecken und mit scharfer Zunge darüber herzuziehen.
    Als strikte Vegetarier waren sie nach eigener Einschätzung in spirituellen und okkulten Belangen kompetenter als jeder Fleischesser. Sie sahen die gegenwärtige Hexenpanik als Herausforderung für ihre eigenen Kräfte an und setzten der Bedrohung eigene spirituelle Maßnahmen entgegen: Sie begannen mit Tischerücken, befragten das Ouija-Brett, deuteten den Kaffeesatz, lasen die Handlinien und legten Karten. Der Wahn befiel das ganze Dorf, und in vielen Cottages hüpften die Tische auf und ab. Unter den Büchern, die man im Gemischtwarenladen kaufen konnte, wurde
    Meister der Metaphysik in 30 Minuten der absolute Bestseller.
    In der großen Welt der Wirtschaft hatten clevere Geschäftsmänner die Zeichen der Zeit erkannt, brachten Voodoo-Ausrüstungen, Drachen- und Fledermausblut,  Friedhofsstaub, Levitationsbalsam und Wachspuppen auf den Markt und machten Millionengewinne. Was die Zeitungen verbreiteten, entsprach der Wahrheit – in gewissen Läden konnte man Puppen komplett mit einer Schachtel Nadeln kaufen. Die Puppe mußte so angezogen werden, daß sie an den Missetäter erinnerte, der einer gerechten Strafe zugeführt werden sollte, dann wurden die Nadeln in die Puppe gebohrt. Nach getaner Arbeit konnte sich der Magier zurücklehnen und auf die glückliche Aussicht vertrauen, daß sein Opfer durch den Nadel-Zauber Schmerzen erlitt oder sogar den Tod fand, wenn der Voodoo-Kundige ausreichende Fähigkeiten besaß. In gewissen Läden? Hexerei in Kent? Schwarze Magie auch in den kleinsten Dörfern? Der Artikel in Anyone’s und die Warnungen der Presse standen Miss Nuttel wieder deutlich vor Augen.
    »Ich verstehe, was du meinst, Bunny, aber …« Eine echte Hexe in einem kleinen Dörfchen wie Plummergen?
    Der böse Blick, Satanskult, Orgien – sehr beeindruckend.
    »Wie schrecklich.« Sie war fasziniert. »Aber wenn man mal überlegt …« Sie überlegte. »All die Dinge, die geschehen, wenn diese Seeton in der Nähe ist: Morde, Einbrüche und was nicht alles …«
    »Und ihr selbst passiert nie etwas«, warf Mrs. Blaine ein.
    »Ganz genau.«
    Mrs. Blaine war in ihrem Enthusiasmus kaum noch zu bremsen. »Und denk doch mal, wie sie die Polizei verhext hat.«
    »Ich sag’ das nicht gern, Bunny …« Mittlerweile hatten sich fast alle Kunden um die beiden Ladys versammelt, um ja kein Wort von den letzten Skandalnachrichten aus Plummergen zu verpassen, und hielten den Atem an, als  Miss Nuttel sich darauf vorbereitete, ihr Urteil abzugeben.
    »… und ich würde das nicht jedem gegenüber zugeben, aber du … doch, du könntest recht haben. Das erklärt eine Menge.«
    »Und wenn man bedenkt«, jammerte Norah Blaine, »so was geschieht ausgerechnet hier! Es ist fürchterlich.
    Jemand sollte einschreiten.«
    Mrs. Flax wedelte mit der Banane, die sie noch immer in der Hand hielt, aufgeregt durch die Luft. »Sie haben recht, meine Liebe, man muß etwas unternehmen.« Diese
    Unterstützung war keineswegs ohne Hintergedanken.
    Mrs. Flax legte sich mächtig ins Zeug für das Dorf und seine Belange, und die Tatsache, daß sie Verbindung mit einer verstorbenen Seele hielt, verlieh ihr einen gewissen Status; man zollte ihr Respekt. Kenntnisse in Kräuter- und Heilkunde untermauerten ihren Ruf, und man sah sie als weise Frau des Ortes an, die man zuerst und zuletzt konsultierte, während der Arzt lediglich als Zwischenlösung angesehen wurde. Daß diese Außenseiterin Seeton die Frechheit besaß, sich als Hexe aufzuspielen, konnte auf keinen Fall geduldet werden; diese Person mußte unschädlich
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