Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag
Autoren: Winifred Watson
Vom Netzwerk:
uns heute Abend.«
    »Oh!«, rief Miss LaFosse, der offenbar die Knie weich wurden, obwohl sie saß. »Wann?«
    »Ich hole dich ab, wenn du mit deinen Auftritten fertig bist, und dann fahren wir stracks hierher.«
    Er beugte sich vor, umschloss ihr Handgelenk, das auf der Armlehne ihres Sessels ruhte, und sah sie an. Miss LaFosse blickte zu ihm auf. Beide schwiegen.
    Miss Pettigrew wurde flau zumute; ein merkwürdiges, fast schon schmerzhaftes Gefühl machte sich in ihrer Magengrube bemerkbar, genau wie Miss LaFosse irgendwann zuvor gesagt hatte. Der Blick galt nicht ihr. Niemand hatte sie je so angeblickt, aber sie wusste haargenau, wie Miss LaFosse sich fühlte: atemlos, verschreckt, berauscht; wie ihre Sinne dahinschmolzen und sich ihm bebend unterwerfen wollten. Nicks Blick weckte den Wunsch, ihm alles zu geben, wonach er verlangte. Selbst Miss Pettigrew konnte sich dem nicht ganz entziehen, doch sie ließ sich nicht beirren. Ein Außenstehender hätte nur zwei Liebende gesehen, denen zum ersten Mal ein Blick auf das unschuldige irdische Paradies gewährt wird; Miss Pettigrew jedoch zählte zu den Eingeweihten: Hier verleitete ein durch und durch verderbter Mann eine entzückende Dame zu ewiger Verdammnis.
    Trotzdem: Nur unter Aufbietung all ihres gesunden Menschenverstands konnte Miss Pettigrew sich weiter vor
Augen halten, dass Nick, jawohl, ein böswilliger, selbstsüchtiger Mensch war, der ein Jahr darauf eine andere Frau mit demselben zwingenden Blick in Bann schlagen mochte, während die arme Miss LaFosse einen ruinierten Ruf und ein gebrochenes Herz zu beklagen hatte. Das Kokain hatte sich in Miss Pettigrews Gedächtnis eingebrannt, und sie war keine hirnlose Närrin.
    Miss LaFosse erschien so vollständig, so widerstandslos hingerissen, dass Miss Pettigrew instinktiv wusste, was zu tun war, bevor die bedingungslose Kapitulationserklärung erfolgte. Sie kam in Gang wie eine gut geölte Haubitze.
    Mit Mrs. Brummegans furchterregendem Stampfschritt marschierte sie zu dem Tablett, auf dem die Sherryflasche und die Gläser standen, goss sich einen weiteren Drink ein und hob nonchalant das Glas. Nach all dem, was sie in langen Jahren hatte ertragen müssen, wusste sie peinlich genau über die vernichtende Wirkung einer nonchalanten Geste Bescheid.
    »Junger Mann«, verkündete Miss Pettigrew so scharf, wie es ihrer Stimme zu Gebote stand, »Sie können hinterher gern noch auf ein Schlückchen vorbeischauen, aber das heißt nicht bis in die Puppen. Ich bin nicht mehr die Jüngste und muss allzu früh wieder aus den Federn, sprich, ich lasse mir den morgigen Tag nicht durch fehlenden Nachtschlaf ruinieren. Ich übernachte bei Miss LaFosse, und das heißt, sie geht früh zu Bett, und Sie bescheiden sich mit vernünftigen Besuchszeiten. Ich kenne Miss LaFosse zu lang und bin zu alt, um höflich zu tun, und damit basta.«
    Nicks Hand zuckte zurück, als sei die von Miss LaFosse ein glühender Schürhaken. Er fuhr herum.
    »Was?«
    »Was was?«
    »Sie übernachten hier?«

    »Das wissen Sie doch. Ich habe es bereits gesagt. Bis morgen gilt die Einladung, und bis morgen bleibe ich, und was hat das bitteschön mit Ihnen zu tun?«
    »??? …!!! …??? …!!!«, schäumte Nick erneut.
    Miss LaFosse warf Miss Pettigrew einen konsternierten und zugleich vielsagenden Blick zu, in dem Befremden, Empörung und Unmut lagen. Miss Pettigrew begegnete dem Blick mit Festigkeit, Strenge und Ungerührtheit. Miss LaFosse erinnerte sich, errötete und sammelte ihre ermatteten Truppen um sich.
    »Nick, Liebling, du hast ›morgen‹ gesagt«, wandte sie mit zittriger Stimme ein.
    »Telegramme kosten nicht die Welt«, bemerkte Miss Pettigrew.
    »Woher zum Teufel sollte ich wissen, dass meine …«
    »Ich hab mich einsam gefühlt«, stammelte Miss LaFosse, »wo du doch nicht da warst.«
    »Ich komme heute Abend zu dir.«
    »Aber es gibt nur ein Bett.«
    »Was zum …«
    »Kommen Sie ruhig«, schaltete Miss Pettigrew sich liebenswürdig ein. »Sie können auf dem Sofa schlafen. Angeblich ist es gesund, mit angezogenen Knien zu schlafen. Mich hingegen«, sie beäugte die Couch, »bringen keine zehn Pferde auf dieses Ding. In meinem Alter bestehe ich auf einem anständigen Bett.«
    Nick gab sich geschlagen. Der alten Dame war er nicht gewachsen, und offenbar hatte sie einen Anspruch auf Miss LaFosses Gastfreundschaft. Er musste sein Temperament zügeln und sich vorsehen. Wie es aussah, verfügte die Freundin seiner Freundin selbst über ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher