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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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nich? Er is tapfer ohne Ende und hasst es zu verlieren. Und dann muss er natürlich auch weniger Gewicht tragen, und ich hab schon Pferde seiner Größe gesehen, die neun Achtelmeilen schaffen.«
    Achtelmeilen interessierten Mary nun gar nicht. Ihr Herz erwärmte sich für das mutige kleine Pferd, das nicht verlieren mochte. »Oh, ich hoffe, er wird gewinnen«, rief sie aus.
    Ein plötzlicher Tumult führte dazu, dass der Wirt mit seinen Erläuterungen endete. »Das tu ich auch, Miss, aber das wird Ihre Kutsche sein. Beeilen Sie sich.« Er lief nach draußen, und Mary folgte ihm. Im Hof sahen sie, wie drei Männer und ein Hund aus einer flachen Kutsche hervorquollen, während acht weitere Männer vom Kutschendach herabstiegen.
    »So bringst du die Pferde um, Sam«, sagte der Wirt, » und kriegst Ärger mit dem Gesetz.«
    Der Kutscher zuckte mit den Achseln. »War ja nich ich, der sie draufgelassen hat. ›Zu Extraeinnahmen sag ich nich Nein‹, sagt er mir in Cambridge, und meint zu mir, ich soll locker bleiben. Wär gar nich anders gegangen, bei den Horden von Menschen.«
    »Hier ist nur eine junge Lady, und sieh zu, dass du meinem Gespann auf dem Weg nach Bury nicht den Garaus machst.«
    »Du weißt doch, ich bin kein Auspeitscher nich«, beschwerte sich der Kutscher. »Ich schlag vor, du hörst mit dem Geschimpfe auf und spannst die Pferde ein.«
    Aufgrund der Bemerkungen des Gastwirts und der Anzahl der Menschen, die aus der Kutsche gestiegen waren, nahm Mary an, sie führe allein nach Bury. Daher war sie beim Einsteigen überrascht, zwei weitere Reisende - eine Frau und einen Mann - zu sehen: Die füllige Frau trug ein altmodisches Mantua-Kleid aus grauem Satin mit Pelzpelerine und eine unter dem Kinn zusammengebundene Seidenhaube. Sie sah derart ausladend aus, dass Mary zunächst dachte, sie müsse eine Krinoline tragen, die bei einigen älteren Damen noch in Mode war. Bei näherer Betrachtung stellte sich jedoch heraus, dass sie keinerlei künstliche Unterstützung benötigte. Ihr gegenüber saß ein schmaler, sich spröde gebender älterer Herr in einem braunen Samtanzug. Beide hatten wohl auf der Fahrt von Cambridge unter der Enge im Wagen gelitten. Sie stellten sich als Mrs. Oldworthy und Mr.Treadgill vor.Während Mr.Treadgill Perücke und Mantel zurechtrückte, teilte Mrs. Oldworthy Mary sogleich mit, was sie alles durchgemacht hatten.
    »Es war unglaublich, Miss Finch. Das kann ich Ihnen versichern. Das Gedränge hier drinnen war so groß - ich dachte, ich würde in Ohnmacht fallen … Und erst der arme Mr.Treadgill! Mr. Treadgill ist durch Indien gereist. Sagten Sie nicht, dieses Gedränge wäre schlimmer gewesen als alles, was Sie in Indien erlebt haben?«
    »Ja, viel schlimmer.«
    »Ich hoffe, Sie sind beide unversehrt«, sagte Mary mitfühlend. Daraufhin machte Mr. Treadgill eine zustimmende Geste, während Mrs. Oldworthy mit lauter Stimme fortfuhr. Auf dem Kutschendach waren acht Männer, das musste doch jedem klar sein, dass das nicht sicher ist. Ein Zusammenstoß konnte nur durch mehrere Wunder verhindert werden. »Und hier drinnen war dieses große bellende und sabbernde Monster. So wild, wie es war, wundert es mich, dass niemand gebissen worden ist.«
    Mit leiser Stimme erklärte Mr. Treadgill Mary, dass der Hund, eine zerbrechlich wirkende Kreatur, vielleicht heruntergefallen wäre, wenn man ihn auf das Dach verfrachtet hätte. »Ein Hund ist doch keine Katze. Er kann weder zufassen noch etwas festhalten, weil er dafür nicht die richtigen Krallen hat - um sich festzuhalten, meine ich.« Er schaute drein, als ob er nun eine Hundeanekdote zum Besten geben wolle, aber Mrs. Oldworthy schnitt ihm das Wort ab.
    »Die sollen ja nicht glauben, dass ich mich nicht beschweren werde«, kündigte sie an, »egal ob mit Krallen oder ohne. Ein regelrechter Skandal ist das, und das letzte Wort dazu ist noch nicht gesprochen, wenn wir erst nach Cambridge zurückkommen. Mr. Treadgill sollte so etwas nicht ertragen müssen.«
    »Ich wünschte, ich hätte von diesem Rennen gewusst«, meldete sich Mr.Treadgill wieder zu Wort, »das hätte ich mir gerne angesehen. Einmal habe ich zwanzig Pfund in Epsom gewonnen, wissen Sie, als ich auf Urlaub zu Hause war.«
    Wie sich herausstellte, hatte Mr. Treadgill sich nach einer Karriere als Kontorleiter bei Ashton & Howell, einer Firma, die mit einer Lizenz der East India Company Gewürzhandel trieb, in Cambridge niedergelassen. Er wollte seine Schwester besuchen und reiste

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