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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Autoren: Ralf Isau
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Sooderburg geboren und  aufgewachsen. Er wusste um ihre Stärken und verwundbaren Punkte. Vor allem kannte er die unterirdischen Gänge, die von den Klippen in die Burg hinaufführten.
    Mit einer kleinen Armee von Kriegern – es wird behauptet, sie seien keine Menschen, sondern grausame Geschöpfe aus den Bergen von Harim - zedojim gewesen – verschaffte er sich Zugang zum innersten Verteidigungsring der Sooderburg. Von dort aus sei er in die Gemächer des Königs eingedrungen und habe die ganze Familie umgebracht. Vania sei durch einen silbernen Dolch gestorben und der König kurz zuvor bei dem Versuch, das Leben seiner Gemahlin zu verteidigen. Ein Pfeil, abgeschossen vom eigenen Bruder, habe sein Herz durchbohrt. Torlunds leblosen Körper ließ Wikander zur Warnung für alle Aufsässigen kopfunter am Turm der Sooderburg aufhängen, bis die Krähen an seinen Knochen keinen Gefallen mehr fanden. Für die Söhne Torlunds des Friedsamen hatte sich Wikander indessen eine besondere Behandlung ausgedacht. Twikus und Ergil wurden gezwungen einen Becher mit Gift zu trinken, das seine heimtückische Wirkung sehr langsam entfaltet.
    Es heißt, Wikander habe sich beim Anblick von Ergils bleichem Gesicht angewidert abgewandt, habe überstürzt das Gemach verlassen und eigenhändig einige letzte versprengte Leibwächter des Königs umgebracht. Die Richtigkeit dieser Geschichte wurde nie wirklich bewiesen – möglicherweise hat der Usurpator sie nur in die Welt gesetzt, um seine Unbezwingbarkeit in die Chroniken von Mirad einzuschreiben. Jedenfalls muss er die schon bewusstlosen Knaben im Privatgemach der Königin sich selbst überlassen haben, weil sie dort wenig später von einem weißhaarigen Mann gefunden worden waren, den man ob seines Alters im Kampfgetümmel wohl nicht als Bedrohung empfunden hatte. Zu Unrecht, wie wir heute wissen, denn einige erheblich jüngere Angreifer  waren von seinem Schwert ins Haus der Toten geschickt worden. Der mutige Alte hob die reglosen Brüder auf und brachte sie in Sicherheit.
    Der Überlieferung nach soll Wikander, nachdem der letzte Verteidiger der Sooderburg niedergemetzelt worden war, geprahlt haben: »Und nun rupfen wir die Brut des Thronräubers.« Einige schlossen daraus, er wolle den Zwillingen dieselbe h e rzlose Behandlung angedeihen lassen, mit der er den Leichnam des eigenen Bruders schändete. Aber Wikanders Plan schlug fehl. Ergil und Twikus waren spurlos verschwunden.
    Man möchte meinen, dass die stürmische Geschichte um die Vorherrschaft in Soodland da m it ein ebenso dunkles wie rätselhaftes Ende fand. Aber das ist ein Irrtum. Nun erst sollte sie richtig beginnen.

1
DAS HAUS IM WALD
     
     
     
    Als wenn ein Kind geboren würde. Der Kopf des Jungen tauchte aus den tosenden Fluten des Wildbaches auf und im selben Moment war der Gedanke da. Wie die allerersten Worte, die sein Verstand im Geiste formte. Hier war er nun, in einer nassen, kalten Welt, ausgespuckt aus der warmen Geborgenheit des Vergessens, und kämpfte um sein Überleben. Er hustete, spuckte Wasser und v erstand nicht, was mit ihm geschah. Durch sein Bewusstsein huschten Fragen wie silberne Fische, die man nicht zu packen bekommt. Warum trieb er in den Stromschnellen? Hatte ihn jemand ins Wasser gestoßen? War es Unvorsichtigkeit beim Spielen gewesen?
    Er wusste es nicht, wusste gar nichts. Möglicherweise hatte er sich ja den Schädel an einem Stein angestoßen und dabei seine Erinnerung verloren…
    Prustend und spuckend kämpfte er verzweifelt mit Armen und Beinen, um sich über Wasser zu halten. Allein die Gischt reichte schon aus, um ihm den Atem zu rauben, und das Dröhnen in seinen Ohren war kaum auszuhalten. Sie schien die Todesangst wie mit einem Schmiedehammer in sein Bewusstsein zu stampfen. Er fühlte sich von kalten Klauen gepackt und nach unten gezogen. Es ist nur Wasser!, schrie sein Verstand, aber ihm fehlte der Glaube. Dieses Wasser war lebendig, eine reißende Bestie auf Beutezug, die ihr Opfer bereits gepackt hatte und es nun wütend hin- und herschlug, um es zu zerschmettern. Über kurz oder lang musste er mit dem Kopf an einen der unzähligen Steine stoßen und dann  würde er mehr als nur das Gedächtnis oder das Bewusstsein verlieren.
    Ein brennender Schmerz fauchte durch die linke Wade des Knaben. Er versuchte sich umzudrehen und sah für einen kurzen Moment das blutige Bein – nicht alle Steine in dem Bach waren rundgeschliffen. Im nächsten Augenblick ging er wieder unter.
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