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Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Mirad 01 - Das gespiegelte Herz

Titel: Mirad 01 - Das gespiegelte Herz
Autoren: Ralf Isau
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sich lautlos an die Amme anschleichen, um sie zu erschrecken. Außerdem versuchte er, sehr zum Unwillen seiner Mutter, ohne Unterlass irgendwelche Dinge in Brand zu stecken. Voll der Sorge um die Unversehrtheit ihres Sohnes wandte sich Vania an ihren Gemahl, dem die Klagen seiner Untertanen über Twikus’ Wildheit hinlänglich vertraut waren. Obwohl den Vater die unerschrockene Natur des Sohnes durchaus mit Stolz erfüllte, obsiegte am Ende das Bangen um dessen Wohlergehen. Deshalb übergab Torlund den Knaben der Obhut seines W affenmeisters, eines erfahrenen Recken, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen konnte. Wiewohl die Aufsicht über Twikus für den kinderlosen Mann eine große Herausforderung bedeutete, trug er die neue Pflicht mit der Gelassenheit des Alters.
    Die Zwillinge sorgten auf der Sooderburg unablässig für neue Gerüchte, obwohl an solchen bei Hof ohnehin kein Mangel herrschte. Seit ihrer Geburt hatte nie jemand die beiden Knaben beieinander gesehen. Entweder ertrug das Gesinde die bohrenden Fragen des sanften Erg i l oder man sah, wie der Waffenmeister Twikus nachjagte. Aber zu keiner Zeit, selbst bei Tische nicht, begegnete man beiden zugleich. Dazu befragt, schwiegen Torlund und Vania, als seien ihre Lippen mit Stopfseide zugenäht. Und der Waffenmeister, der noch a m ehesten den Grund für diese Trennung wissen musste, wollte dazu auch nichts sagen.   
    Nicht wenige in Soodland kamen zu der Überzeugung, dass Vania für das seltsame Versteckspiel verantwortlich sein musste. Trotz ihrer in vielen Liedern besungenen Schönheit besaß die Königin im Reich nicht nur Bewunderer. Sie war ja eine Sirila. Das 2. Buch der Chroniken von Mirad widmet sich fast ausschließlich dem Alten Volk und seine Geschichte wird dort gründlich dargelegt, weshalb hier nur an einige Besonderheiten der S irilim erinnert werden soll. Sie verfügen ausnahmslos über makellose Körper mit großer Ausdauer und Widerstandskraft, womit sich – zumindest teilweise – auch ihr außergewöhnlich langes Leben erklärt. Die Behauptung, sie seien unsterblich, entbehrt hingegen jeglicher Grundlage. Unter Gelehrten gilt es als gesichert, dass jeder Sirilo altert und nach einigen tausend Jahren ins Haus der Toten gerufen wird. Der stärkste Beweis für ihre Vergänglichkeit ist gewiss ihr trauriges Schicksal: Der dunkle Gott Magos hat sie vom Angesicht Mirads mit grausamer Hand hinweggefegt.
    Neben diesen äußeren Merkmalen berichten etliche Legenden wie auch einige glaubhafte Quellen über einen noch viel tiefgreifenderen Unterschied zwischen Menschen und Sirilim. Letztere besitzen ein i ge geistige Fähigkeiten, die uns Menschen fremd sind und daher oft zu Missverständnissen und Anfeindungen geführt haben. Nicht selten hielt man Angehörige des Alten Volkes für Zauberer, was sie in Wirklichkeit niemals waren, denn ihre Kraft speist sich ni c ht aus dem Bündnis mit dunklen Mächten, sondern aus ihrem uralten Wissen sowie ihrer außergewöhnlichen Natur. Mit Begriffen unserer Sprache ist schwer zu beschreiben, was ihr besonderes Wesen ausmacht. Eigene Studien haben die Chronistin zu dem Schluss kommen lassen, dass die folgende Erklärung ihre Art am besten beschreibt. 
    In jedem Sirilo und jeder Sirila ist die Welt  »zusammengefaltet«. Somit trägt jeder ein Abbild Mirads in  sich, das ebenso wirklich ist wie die Welt als Ganzes. Zugleich sind die Sirilim ein Teil unserer Welt und damit auch ihrer selbst. Daraus erwächst eine besondere Verbundenheit, nicht nur mit ihren Brüdern und Schwestern, sondern mit jedem Geschöpf, jedem vernunftbegabten Wesen, jedem Tier, jeder Pflanze, jedem Stein, ja mit jedem der unzähligen Sandkörnchen an sämtlichen Stränden Mirads, mit jedem Wassertropfen, der seinem ewigen Kreislauf folgt, und mit jedem Windhauch, der ein Blatt von hierhin nach dorthin treiben mag. Die Sirilim sind in allem und alles ist in ihnen.
    Sobald man bereit ist, diese Einsicht demütig anzuerkennen, verliert das Alte Volk seine magische Aura und man erkennt es als Wunder der Schöpfung Dessen - de r- tut - wa s- ihm - gefällt. Ehrfürchtig erkennen wir an, dass die Sirilim Gefäße sind, die den göttlichen Funken, der das Universum hervorbrachte, reiner in sich tragen als irgendein Mensch oder sonst jemand auf unserer Welt (vielleicht mit Ausnahme des Äonenschläfers, dem in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet werden soll). Wie jeder von uns ein verschieden großes Maß geistiger und
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