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Mingus

Mingus

Titel: Mingus
Autoren: Keto von Waberer
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bisschen.
    »Braten. Erst braten«, sagt er.
    Eine Schote fällt auf meinen Kopf und springt neben uns ins Gras.
    »Hast du Essen bestellt?«, fragt er und lächelt mit geschlossenen Augen.
    »Ich habe einen Löwenboxenstopp bestellt. Und zwar sofort«, sage ich, und wir lachen beide.
    Wenn ich so auf seiner Brust liege, klingt sein Lachen wie ein leiser Trommelwirbel, wie das Geräusch, das eine Parade der Ci-Po macht, weit weg, irgendwo in der Unterstadt, wenn man selber noch im Bett liegt am Morgen, und weiß, heute marschieren sie wieder.
    »Boxenstopp!«, schreie ich.
    Aber Mingus sieht aus, als sei er eingeschlafen.

MINGUS
    Zuerst reden wir gar nicht. Es gibt anderes zu tun. Viele Tage reden wir gar nicht. Es ist nicht nötig. Sie sagt, wir reden die ganze Zeit mit den Augen, mit den Armen, den Knien, den Haaren sogar. Ich weiß nicht, wie sie das meint, aber ich frage nicht. Sie ist so seltsam. Sie ist wie niemand, dem ich begegnet bin. Ich bin neugierig auf sie, immerzu. Es ist gut, so zu reden, wie sie es sagt. So ohne Worte. Wir verstehen uns. Ja, ich verstehe sie. Jede neue seltsame Laune von ihr. Sie würde sagen, mit meinen Knien? Ich aber sage, sie ist ich und ich bin sie, aber ich höre Tara lachen, Aglaia, die anderen. Das stört mich nicht. Sie wissen gar nichts von uns. Von mir haben sie nie was gewusst. Das ist gut.
    Dann, ohne dass ich es erwartet habe, oder sie, das sehe ich ihr an, wollen wir reden. Ich will über Papa reden, aber sie nicht. Ich rede, und sie hört mir zu. Eine Weile, dann bleibt sie den ganzen Tag fort. Das ist gut. Sie muss allein sein. Auch ich habe oft große Sehnsucht, allein zu sein, und ziehe dann ohne sie los.
    Dann will sie davon reden, wie sie auf unserer ersten gemeinsamen Wanderung nicht sprechen konnte. Wir reden darüber. Lange. Dann will sie von Aglaia reden. Ich nicht. Wir reden trotzdem von Aglaia. Dann will sie über die Gayanerinnen reden. Ich auch. Wir lachen beide unbändig. Es ist, als sähe ich einen komischen Film bei Baro. Icherzähle ihr von den Filmen, und wieder lachen wir sehr. Sie kennt keinen von den Filmen, die ich gesehen habe, und ich erzähle ihr jeden einzelnen ganz genau.
    Dann will sie von ihren Eltern reden. Ich höre ihr zu. Gonzo hat gemeldet, sie kämen zur Ausgrabungsstelle, aber sie sagt, sie kann ihre Eltern noch nicht sehen. Sie hat Angst. Ich weiß nicht, vor was. Ich sehe, dass sie ihre Eltern liebt und sie trotzdem nicht treffen will – noch nicht, noch nicht gleich. Sie muss das alleine entscheiden. Ich will nichts hören von Gonzos Nachrichten. Sie neckt mich damit. Sie sagt, ich schließe Augen und Ohren vor der Wirklichkeit, vor der Welt. Ich sage nicht, dass das nicht meine Welt ist. Sie will wissen, wie das alles weitergehen soll mit uns. Ich habe keine Ahnung. Sie will wissen, ob ich weiß, wo Papas Schatz ist. Ich sage, ich weiß, wo der ist. Vielleicht holen wir ihn eines Tages. Wenn wir nichts mehr zu essen finden. Wenn wir uns langweilen. Wenn Aglaia Präsident ist und ich an ihrer Seite regieren soll. Sie schlägt mich. Es gefällt ihr, mich zu schlagen, und mir gefällt es auch. Sie sagt, dass sie nicht weiß, ob es hier im Olviogürtel auch Winter wird mit Schnee und Eis und zugefrorenen Seen. Ich sage, wir werden sehen. Dann musst du ein Haus für uns bauen, sagt sie, sicher kannst du das. Sie lacht. Ich sage, ich kann alles machen, alles. Sie lacht noch mehr. Sie sagt, sie hätte so gerne Gonzo hier. Er könnte helfen beim Hausbau. Sie glaube, Gonzo kann zaubern. Ich sage, wenn sie das will, dann fliegen wir zur Ausgrabungsstätte und besuchen Gonzo. Tara ist jetzt dort. Aglaia ist NICHT dort, sie ist in Megacity. Sie schlägt mich. Wir bleiben hier, sagt sie, bis zum ersten Schnee.
    Das ist mir recht. Ich packe sie und kaue und zerre an den kurzen Haaren über ihrer Stirn. Das mag sie gar nicht. Wir bleiben hier für immer und immer und immer, sagt sie. Ich lasse sie los. Ich sage, es ist Zeit, in den See zu springen, er ist noch nicht zugefroren, es ist Zeit, sie abzukühlen, sage ich. Sie kann auch beißen, aber nicht so gut wie ich, mit diesen winzigen Zähnchen, die sie im Maul hat.
    Ich schlafe nicht. Nin, an meinem Rücken, atmet leise und ohne Eile. Ich schlafe nicht. Es ist nicht der Wind, der vom Fluss heraufweht und in den Schilfrohren raschelt, aus denen unser Unterschlupf gemacht ist. Es ist nicht der Mond, der zu uns hereinschaut, und auch nicht die schwarzen Wolkenfetzen, die über ihn wegziehen,
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