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Mingus

Mingus

Titel: Mingus
Autoren: Keto von Waberer
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allerdings, sie will ihren Onkel Hermes treffen. Er hat angeblich eine Übergangsregierung gebildet, mit Aristos aus dem alten Führungskader. Das Volk rennt dagegen Sturm. Sie wollen niemanden vom alten Regime. Natürlich nicht.
    Aglaia ist eine Zumutung. Sie quatscht mir die Ohren voll. Sie redet von ihrem Programm, den Reformen, den neuen Projekten.
    »Du, Tara, kümmerst dich um Aglaia«, hat Mingus gesagt. Einfach so. »Nicht lange, sie will nach Megacity. Schnellstmöglich.«
    Er behandelt mich wie eine Mutter. Das schmeichelt mir zwar, aber es macht mich auch wütend. Es ist ganz selbstverständlich, dass ich diese Diva von Frau in mein Zelt aufnehme, weil er mit Nin allein sein möchte. Nicht, dass ich das nicht verstehe. Ach, wie rührt mich dieses Paar. Es ist zwar schon fast kränkend, dass sie nur Augen füreinander haben, aber es wärmt doch mein altes Herz, diese beiden so zu sehen. Diese Kinder, es sind noch Kinder, obwohl Mingus schon ziemlich erwachsen geworden ist, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Und wie er jetzt spricht!
    »Das ist meine Tara«, hat er zu Nin gesagt, als Gonzo mich endlich aufgespürt hatte, mitten im Wald und halb verdurstet. Ich habe unser Zelt nicht mehr gefunden. Ich war noch nie gut, wenn es darum ging, mir den Weg zu merken. »Das ist meine Tara. Sie hat mich gerettet, sozusagen großgezogen und mir die Welt erklärt.«
    Nin umarmt mich und lacht.
    »Sie ist auch eine ganz verteufelt gute Chemikerin«, sagt Nin. »Wusstest du das?«
    »Wo ist die Frau, die andere Frau?«, frage ich.
    »Aglaia«, sagt Mingus und gibt Nin einen kleinen Schubs, weil die die Augen verdreht. »Da oben. Da oben auf dem Baum«, sagt er. »Siehst du sie? Aglaia, komm herunter. Hier ist deine Gastgeberin.«
    »Gastgeberin?«, frage ich.
    »Ja«, sagt Nin und umarmt mich erneut. »Und Gonzo leihe ich dir noch dazu aus. Was hältst du davon?«
    Aglaia leidet.
    Sie leidet mit zusammengebissenen Zähnen. Die ersten Tage spricht sie nicht mit uns. Sie isst nicht. Sie kämmt sich nicht. Ich kann sehen, was mit ihr los ist. Einzig ihre Pläne halten sie zusammen. Sie macht lange Listen. Wir haben Papier dabei. Sie hat Glück.
    Sie wartet ungeduldig darauf, hier wegzukommen. Der Onkel schickt keinen Transport. Das ist eigenartig. Sie muss warten, bis Neila ein paar von ihren Mädels abstellt, um Aglaia nach Megacity zu fliegen. Neila zieht ungern Arbeitskräfte von der Schatzsuche ab. Sie wühlen ja noch immer alle im Sand bei Leos Ruinen.
    Mich schert das aber nicht.
    An Boris’ Grab singe ich das Lied vom kleinen Krokodil. Ein Lied, das er damals geliebt hat. Aglaia, die jungen Frauen und ein paar Leute von den Ausgrabungen stehen im Kreis. Keiner singt mit, denn keiner ist alt genug, um das Lied zu kennen.
    »Matt musste leider los, um Proviant zu besorgen«, sagt die rothaarige Archäologin. »Er ist der gute Geist hier.«
    Matt, Dr. Matthäus vom Mega-Hospital, das ist der Kerl,den ich getreten habe. Den brauche ich nun wirklich nicht bei Boris’ Beerdigung. Auch er sucht nach Leos verdammtem Erbe, aber nur da, wo die Frauen es ihm erlauben. Das geschieht ihm recht. Sollen sie doch suchen. Ich habe meine Schäfchen im Trockenen.
    Gonzo führt mich heimlich weit weg vom Lager zu einem Dornengebüsch, abends, als alle anderen trinken und schwatzen und herumsitzen. Sie machen Musik. Wenn Neila sie sehen könnte, ihre jungen Kriegerinnen. Tulip, eine ganz Wilde, tanzt abwechselnd mit den Archäologen. Auch Daisy ist mit dabei und schickt Grüße an Nin. Ich soll sagen, bald wäre sie alt genug, um schwanger werden zu dürfen. Ich weiß nicht, ob Nin das im Augenblick interessiert.
    Gonzo also führt mich weit weg von allen zu einem Steinhaufen, unter Hollybüschen versteckt, abseits von den Grabungen der anderen, und sagt: »Hier!«
    Nachts graben wir, das heißt, ich grabe, und er macht mir Licht. Tief muss ich nicht graben. Meine Hände ertasten ein großes schweres Objekt. Leder, Bioleder, echtes. Es ist eine Tasche. Es ist Boris’ Tasche. Ich erkenne sie sofort. Boris’ Lieblingsreisetasche mit den Löwenköpfen als Beschlag. Boris hat sie von Leo geerbt. Ach, Leo.
    Gonzo macht noch mehr Licht. Ich knie vor der Tasche. Sie öffnet sich willfährig. Meine Hände zittern. Papierstöße, Laborberichte oder dergleichen, ich reiße sie heraus, darunter Gold, schön gestapelte kleine Goldkuchen. Alle mit dem Wappen der Atox geprägt, das sehe ich, auch ohne mich anzustrengen. Gold. Gonzo wedelt.
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