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Mingus

Mingus

Titel: Mingus
Autoren: Keto von Waberer
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liegt Tau auf den Felsen, ich lecke daran. Ich laufe los, meine Schritte werden immer größer. Sie werdenzu hohen Sprüngen. Noch einer, noch einer, weiter, höher, noch höher. Das ist schön. Ich brülle. Ich umrunde das Haus, das Windrad, und es trägt mich weiter bis zu den fernsten Felsen. Ich fliege. Sand hebt sich und streift meine Beine mit Nadelstichen. Ich mag Nadelstiche nicht, aber diese prickeln wunderbar. Ich renne, bis ich keine Luft mehr in mir habe. Ich lasse mich in den Sand fallen. »Brüll nicht so hässlich«, sagt Papa. »Hör auf«, sagt Papa. Ich gehe und trinke Wasser. Viel Wasser.
    Das Metallhaus hat keine Fenster. Es sieht so böse aus wie immer. Die Sonne lässt es glänzen und zerfließen gegen den blauen Himmel. Papa sagt, es ist lebendig und lässt nur ihn herein. Vielleicht ist es ja noch am Leben, obwohl Papa nicht mehr zu ihm kommt. Ich lege die Hand auf die Tür. Nichts passiert. Ich schlage mit den Fäusten dagegen. Es seufzt. Nein. Das Haus brummt, wenn ich es schlage. Die Tür bebt unter meinen Handflächen. Ich laufe zurück in unser Haus und mache die Tür zu.
    Am Mittag ist die Luft unruhig über dem Metallhaus, als würde es gleich wegfliegen. Ich warte. Ich setze mich auf unsere Schwelle und esse trockene süße Bröckchen aus einer Dose. Ich mag diese Bröckchen. Ich bekomme sie immer, wenn ich etwas für ihn getan habe und er zufrieden ist mit mir. Auf den Händen laufen. Den Ball finden, den er versteckt hat, untertauchen in der Wanne voll kaltem Wasser, ohne zu klagen, das Fleisch mit der Gabel festhalten und mit dem Messer winzige Scheiben abtrennen, um sie zu essen. »Du bist kein Tier«, sagt Papa.Die Sonne senkt sich über den Hügeln, und ich stehe auf und gehe hinüber. Ich habe den Schlüssel schon in der Hand. Ich singe ein bisschen vor mich hin. Ich lasse mir nichts verbieten von Papa, der nichts mehr sagen kann.
    Drinnen ist es dunkel, und es riecht nach fremden beißenden Sachen. Ich muss niesen, und sofort danach weiß ich, dass ich nicht allein bin in der Dunkelheit. Ich habe einen Stock dabei, ich hebe ihn hoch und halte den Atem an. Ich lausche. Es ist ganz still, und doch spüre ich in der lauen Luft etwas wie eine wärmere Zone, wie eine prickelnde Blase, die sich gegen mein Gesicht wölbt. »Wo bist du?«, schreie ich, und ich schlage mit dem Stock in die Finsternis. Dann wird es hell. Sehr hell. Überall stehen Tische und metallene Kästen. Auf den Tischen sind Gläser und Bottiche, Metallfäden wie Spinnennetze spannen sich dazwischen und zittern. Da liegen glitzernde Metallstäbchen schön geordnet auf Tüchern. Da ist ein Käfig, ähnlich wie meiner, als ich noch klein war vor langer Zeit. In dem Käfig bewegt sich etwas. Ich sehe Haare und Tücher, die zusammengedreht sind zu einem Bündel. Kein Laut. Das ist ein lebendiges Ding, da ist ein Bett, ein Teller, Eimer, Papiere in Haufen. Aber es ist viel größer als die Kleinen, und es riecht anders, und es ist nicht gefährlich für mich, das spüre ich, so als würde es mit mir reden. Ich habe immer gewusst, was mit Papa los war, auch wenn er kein Wort sagte. Viele Tage, ohne ein Wort. Ich wusste, was er sagte. Er will recht haben. Er will, dass ich an ihn glaube. Er will, dass alle – ich und das ganze Haus, der Himmel, der Sand und die Steine und die Hügel und der Wind und die Sonne – verstehen, wer er ist und was er will. »Ich binein Schöpfer«, sagt er. »Die Welt ist noch nicht reif für mich«, sagt er. »Ich werde die Zukunft erschaffen.« Ich verstehe die Worte nicht, aber ich fühle, was er meint, nein, was er braucht, nein, was er will.
    Manchmal singe ich für ihn, und ich tanze für ihn. Er hat mir das nicht gezeigt. Ich kann das von Anfang an. Das hat er selbst gesagt.
    Ich hocke mich neben den Käfig und steche mit dem Stock in das Bündel. Und es zischt. Ein seltsamer Laut. Was ist das für ein Lebewesen? Ich schubse es mit dem Stock hin und her. Es quiekt, hat plötzlich zwei Hände, packt den Stock und stößt mich damit zurück, dass ich umfalle. Ich lache. Es hustet. Das klingt so, wie wenn ich huste. Ich habe keine Angst vor ihm. Ich probiere die Schlüssel, schließe den Käfig auf, ohne es aus den Augen zu lassen. Aber ehe ich noch richtig durch die Klappe kriechen kann, kommt es hoch, versetzt mir einen Stoß und ist fast schon an mir vorbei. Ich erwische es an den langen Haaren. Meine hat Papa immer abgeschnitten. Es schreit. Aber nicht ängstlich, sondern wütend, und
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