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Mingus

Mingus

Titel: Mingus
Autoren: Keto von Waberer
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versucht, die Maschine anzuschieben. Ich lache. Nach einer Weile kommt er mir nach, bleibt ein paar Schritte hinter mir. Dann laufen wir los. Ich muss langsam gehen, sehr langsam, sonst kommt er nicht mit. Ich stopfe trockenes Krautzeug in seine Schuhe, die Papas Schuhe waren, und binde sie fest um seine Knöchel. Er schaut mir dabei zu, als wären das nicht seine Füße. Ich lasse ihn trinken, nicht zu viel. Ich binde seine schmutzigen Haare zusammen. Er schwitzt. Ich schwitze nicht. Er klagt nicht, aber ich sehe, wie er die Zähne zusammenbeißt. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat.
    Wir machen halt, immer wieder. Es dauert lange, ehe ich ihn wieder dazu bringe, aufzustehen. Die Sonne geht unter. Der Mond geht auf. Wir rasten, an einen Stein gelehnt. Er schläft. Ich nicht. Es ist kalt. Ich fange ein kleineswolliges Tier. Es ist leicht zu fangen. Wir braten es am Morgen, als es gerade anfängt, hell zu werden. Der Kleine klappert mit den Zähnen. Ich nehme ihn in meine Jacke. Er zittert und trinkt gierig Wasser. »Nur ein wenig«, sage ich. Er versteht jedes Wort, das weiß ich längst.
    Papas Spur ist nicht mehr zu erkennen. Eine Zeit lang glaube ich noch, den stechenden Geruch seiner Maschine zu atmen zwischen den Steinen, dann sind wir allein mit dem Sand, den Steinen, den Hügeln in der Ferne, die kein bisschen näher gekommen sind. Die Sonne steht über uns. Ich habe Lust, umzukehren und in mein Bett zu kriechen, aber die Winterkiste ist leer, und die Hügel sehen so schön aus, wie aus blauem Glas.
    Als es anfängt dunkel zu werden und kalt, sehen wir den Mond über den Hügeln stehen, wie eine Scheibe aus Eis. Ich grabe eine Kuhle in den Sand und lege die Kleider über uns. Der Kleine zittert und lässt sich anfassen und zurechtrücken an mir. Wir trinken Wasser. Wir essen die letzten süßen Bröckchen aus der Dose. Ich pinkle an einen Stein, und er sieht neugierig zu. Er hockt sich zwischen die stachligen Pflanzen, und ich glaube, er pinkelt auch. Ich höre es plätschern. Wenn er krank ist, ist er vielleicht krank im Kopf, nicht im Körper, sonst wäre er nicht gelaufen den ganzen Tag. Papa sagt, die Welt ist voller Menschen, die krank sind im Kopf. Er hat immerzu Ärger mit diesen Leuten. Er will nicht, dass sie mich sehen. Sie würden mich nicht mögen. Sie würden mich töten, sagt Papa. Ich glaube ihm das nicht. Papa sagt Sachen, die nicht wahr sind, aber das merke ich immer erst später. Er sagt, Besuch kommt,aber niemand kommt. Er sagt, er schlägt mich, weil er mich gern hat, aber das stimmt nicht. Er schlägt mich, weil er sich selber schlagen will. Ich habe immer gewusst, was Papa denkt. Der Kleine ist dicht. Ich weiß nicht, was er denkt. Wahrscheinlich ist er doch krank. Aber das macht nichts. Er ist zu schwach, um gefährlich zu sein. Ich will nicht allein sein, und nachts wärmt er mich. Das gefällt mir. Ich habe nie zu Papa ins Bett gedurft. Am Morgen ziehen wir weiter, er hinter mir. Ich trage alle unsere Sachen, er hat genug damit zu tun, sich selber zu tragen.
    Wasser kann ich riechen. Es riecht gut, eben wie Wasser riecht – hellgrün. Wir trinken, und dann baden wir. Es ist viel schöner als in der Wanne und sehr kalt. Ich weiß sofort, wie ich mich bewegen muss. Ich laufe mit allen vieren im Wasser und spritze und schreie. Der Kleine macht es anders. Er bewegt Arme und Beine ganz merkwürdig. Er ist schneller als ich, und zum ersten Mal höre ich ihn lachen. Es gibt Fische. Ich tauche unter Wasser und sehe sie. Sie sind groß und blitzen. Ich habe Fische bis dahin nur steif gesehen und mit trüber Haut und blinden Augen in Papas Winterkiste. Ich fange sie. Ich fange viele. Ich kann gar nicht mehr aufhören, sie zu fangen. Ich werfe sie ans Ufer zwischen die Steine. Sie zappeln noch. Der Kleine fädelt sie auf einen Stock wie Perlen. Ich habe mit Perlen gespielt und lange Ketten gemacht für Papa. Der kleine Bruder ist geschickt, er hängt den Stock auf, zwischen den Steinen, zwei Stöcke mit Fischen, zum Trocknen, das verstehe ich sofort. Wir können sie später essen. Es ist heiß, und sie trocknen schnell und verlieren ihre schöne Farbe. Ein paaressen wir gleich. Ich schneide sie in kleine Stücke, er legt sie, schön geordnet, auf einen flachen Stein und gibt mir ein kleines Stöckchen zum Aufspießen. Dumm ist er nicht.
    Ich rieche auch den Wald schon lange, ehe wir ihn sehen. Das ist ein Wald. Papa hat mir Bilder gezeigt, er hat mir erzählt von den großen Bäumen, die
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