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Mina (German Edition)

Mina (German Edition)

Titel: Mina (German Edition)
Autoren: David Almond
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Sie sausten davon, in merkwürdige und herrliche Richtungen und schickten meine Geschichte auf eine gänzlich unerwartete Reise. Mir gefiel sie sehr gut, aber als ich sie Mrs Scullery zeigte, wurde sie bloß ärgerlich. Sie hielt meinen Entwurf in einer Hand und die Geschichte in der anderen.
    „Das passt nicht zusammen!“, sagte sie in ihrer quietschenden Stimme.
    „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Miss“, sagte ich.
    Sie beugte sich vor.
    „Die Geschichte“, sagte sie in diesem langsamen, dummen Tonfall, als ob sie mit einem langsamen, dummen Menschen spräche, „die Geschichte passt nicht zu dem Entwurf!“
    „Aber sie wollte einfach nicht, Miss“, erwiderte ich.
    „Sie wollte nicht? Was, bitte schön, soll das heißen – sie wollte nicht? “
    „Das heißt, dass sie andere Dinge tun wollte, Miss.“
    Sie stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf.
    „Das ist eine Geschichte“, sagte sie. „Es ist deine Geschichte. Sie tut, was du ihr sagst.“
    „Aber das stimmt doch nicht“, sagte ich. Sie schaute mich immer noch ärgerlich an. „Und Miss“, sagte ich flehend, weil ich so gerne wollte, dass sie mich verstand, „ich will auch gar nicht, dass sie tut, was ich ihr sage.“
    Die Mühe hätte ich mir sparen können. Sie warf die Blätter auf meinen Tisch.
    „Das ist typisch für dich“, sagte sie. „So typisch!“
    Und während meine Klasse kicherte, wandte sie sich einer Schülerin namens Samantha zu und bat sie, ihre Geschichte vorzulesen, über ein Mädchen mit einem Lockenkopf und seine knuddelige Katze – eine perfekt geplante, völlig dämliche Geschichte, in der überhaupt nichts Interessantes passierte. Der unselige Vorfall brachte mir einen neuen Spitznamen ein: „Typisch“. Typisch McKee. Ha! Typisch!
    Meine Geschichten waren so wie ich. Man konnte sie nicht kontrollieren und sie konnten sich nicht anpassen. Ich versuchte, brav zu sein, und wurde dabei manchmal sehr traurig. Das Ende vom Lied war, dass ich nonsensisch wurde. Durch und durch nonsensisch. Diese Geschichte werde ich erzählen, wenn die richtige Zeit dafür gekommen ist. Die richtige Zeit und die richtigen Worte. Und ich werde vermutlich auch all die anderen Geschichten erzählen, die wichtig sind, wie die von meinem Tag in der Corinth Avenue und von der Vision, die ich dort hatte, oder die Geschichte von meiner Reise in die Unterwelt im Heston Park oder die vom Haus meines Großvaters und den Eulen. Und ich werde alles in Reime verpacken, in Gekritzel und in Nonsens. Manchmal ist es sehr sinnvoll, Nonsens zu schreiben. Das klingt nonsensisch, ich weiß, aber das ist es nicht. NONSENSISCH . Was für ein tolles Wort! Irre!

    Jetzt, wo ich angefangen habe, finde ich es herrlich, die leeren Seiten zu betrachten, die sich vor mir erstrecken. In dieses Tagebuch zu schreiben, wird wie eine Reise sein, und jedes Wort ist ein Schritt, der mich weiter in ein unentdecktes Land führt.
    Man muss sich bloß mal anschauen, wie die Worte über die Seite trippeln, bis sie den ganzen leeren Raum erfüllen. Hat sich Gott so gefühlt, als er anfing, die Leere zu füllen? Gibt es einen Gott? Gab es einmal eine Leere? Ich weiß es nicht, aber das hält mich nicht davon ab, mich zu fragen und zu wundern 1 und zu wundern und zu fragen.
    Manchmal betrachte ich die Welt und wundere mich, dass überhaupt irgendetwas da ist.

    Jetzt, wo ich angefangen habe, werde ich das Notizbuch überallhin mitnehmen. Ich werde aufschreiben, was in meinem Leben geschieht, was in der Vergangenheit geschah und was vielleicht in der Zukunft geschehen wird.
    Mein Motto habe ich auf einen Zettel geschrieben, er klebt an der Wand über meinem Bett:
    Wie kann der Vogel, zur Freude geboren, im Käfig noch ans Singen denken?
    Das ist ein Zitat von William Blake. Blake, der Außenseiter. Blake, das schwarze Schaf. Genau wie ich. William Blake war ein Maler und ein Dichter, und manche Leute behaupten, er sei verrückt gewesen. Genau dasselbe behaupten sie von mir. Vielleicht war er auch zu lange im Mondlicht gewesen. Manchmal trug er keine Kleidung. Manchmal sah er Engel in seinem Garten. Er sah überall Geister und überirdische Wesen. Ich glaube, er war ganz und gar nicht verrückt. Meine Mama glaubt das auch, und auch mein Papa glaubte es.
    Wenn ich schreibe, will ich an William Blake denken. Ich werde natürlich über traurige Dinge schreiben, weil man überhaupt nicht anders kann, als über traurige Dinge zu schreiben. Und es gibt viele traurige
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