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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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linste zu ihrem Mann. Der entließ seinen gewölbten Wangen einen dicken Schwall Pfeifenrauch und tat, als hätte er keinerlei Interesse an einer weiteren Erklärung des Großvaters. Seine Frau seufzte, schüttelte müde den Kopf, und sagte: »Also, wieso kommen die Zigeuner noch diese Woche?«
    Im aschgrauen, faltigen Gesicht des Großvaters zeigte sich eine kleine, triumphierende Freude.
    »Sie kommen noch diese Woche«, begann er und machte eine Pause, um die Spannung zu erhöhen, »weil das Kraut am Rübenacker gestern zum ersten Mal mit einer Eisschicht überzogen war. Sie kommen, weil sie bemerkt haben, dass der Atem ihrer Pferde mit jedem Tag feuchter wird.«
    »Sie kommen«, fuhr ihm der Bauer ins Wort, um keinen Zweifel an seiner Autorität aufkommen zu lassen, »weil es bisher zu warm war für die Jahreszeit, ihnen aber jetzt der Arsch friert in ihrem Planwagen.«
    Als am nächsten Tag um die Mittagszeit die ersten Sonnenstrahlen durch den zähen Nebel drangen, waren die Bauern ringsum damit beschäftigt, Erdäpfel aus dem feuchten Boden zu klauben. Die beiden Felder des Seifritz-Bauern lagen zwischen dem Feld des Huber-Bauern und den drei Feldern des Lagler-Hofs. Wenn sich die Bauersleute aus ihrer gebückten Haltung aufrichteten, um hin und wieder ihr Kreuz durchzustrecken, beobachteten sie verstohlen die anderen Familien, maßen mit ihrem Blick, wie weit sie mit der Ernte waren, und versuchten in ihren Gesichtern abzulesen, ob sie ebenso erschöpft waren und ob ihre Glieder ebenso schmerzten.
    Besonders schwer hatten es die Bauersleute vom Huber-Hof. Sie waren kinderlos, und so mussten sie zu zweit all die anfallende Arbeit erledigen. Würde einer der beiden einmal ernsthaft und für längere Zeit krank, käme es zu einem schlimmen Ende mit ihnen und ihrem Gehöft. Niemand sprach offen darüber, aber alle in der Gegend wussten das, und auch, was dann geschehen würde. Der Seifritz-Bauer wartete doch längst darauf, den Huber-Hof zu übernehmen. Nur er kam dafür in Frage, denn am Lagler-Hof hatten seit dem tödlichen Unfall des Bauern die Söhne Kurt und Franz das Sagen. Und die wollten nichts wissen von der Landwirtschaft, warteten nur noch auf den Tod des Großvaters. Der war seit zwei Jahren bettlägerig, und lange würde es nicht mehr dauern, bis er das Zeitliche segnete. Dann würde die Lagler-Buben nichts mehr halten, dann würden sie den Hof und den ganzen dazugehörigen Krempel verkaufen und mit dem Erlös in die Stadt gehen und dort ihr Glück versuchen.
    Die Lagler-Buben Kurt und Franz, deren Feld am nächsten zur Landstraße lag, waren es auch, die den von zwei Rössern gezogenen Planwagen zuerst bemerkten.
    »Die Zigeuner!«, rief Franz, der Jüngere der beiden.
    Jakob blickte auf, da bog der Planwagen von der Landstraße in den Güterweg ein.
    »Die Zigeuner sind da!«, rief nun auch Silvia. Und dann hielt es keinen mehr.
    Hauen fielen zu Boden, und grobe Stiefel hinterließen tiefe Abdrücke in weicher, aufgeworfener Erde. Manche rannten quer über den Acker, manche taten nur ausladende Schritte, je nachdem, ob sie sich ihre Freude anmerken lassen wollten oder nicht. Die Zigeuner würden nicht nur nützlichen Krimskrams von ihrer Reise mitgebracht haben, Zwirn, Kämme, Knöpfe, Hosenträger, exotische Gewürze und allerlei klebrige Süßigkeiten, sie würden auch die unglaublichsten Geschichten mit im Gepäck führen, und magische Karten, mit denen sich die Zukunft deuten ließ. Ja, die Fahrenden würden ihnen in der herannahenden Winterszeit die bunteste Abwechslung zu Füßen legen. Alle freuten sich auf sie.
    »Sperrt die Hühner weg und bringt alles in Sicherheit, was nicht niet- und nagelfest ist«, krächzte die Seifritz-Großmutter. Den anderen hinterher krächzte sie es, aber mehr aus Gewohnheit, mehr als jährlich wiederkehrendes Begrüßungsritual, denn als ernst gemeinte Warnung. Die Fahrenden würden den ganzen Winter bei ihnen verbringen, ihren Wagen samt Rössern im großen Stadel unterstellen und erst wieder abziehen, wenn die Sonne im Frühling eine höhere Bahn zog. Zumindest bis dahin, das wusste die Großmutter, würden sie nichts anrühren. Nichts, was nicht das Ihre war. Denn blöd sind sie ja nicht, die Zigeuner, dachte die Großmutter, und dabei mischte sich ein eigentümlicher Res pekt in ihre Gedanken, eine zumeist unterdrückte Anerkennung, die sie rasch wieder zu verscheuchen suchte, indem sie Silvia, die im vollen Lauf schon beinahe den Planwagen erreicht hatte,

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