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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume
Autoren: Thomas Sautner
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Burschen auf sich bezogen hatte und seine Autorität angegriffen sah. Weil Jakob diesen Zusammenhang nicht herstellen konnte und auch sonst nicht wusste, was nun am besten zu tun oder zu sagen war, blies er alle Luft aus seinen Lungen, vielleicht würde ja das beim Konzentrieren helfen. Doch die zähe Masse, die seine Gedanken umschloss und blockierte, wollte nicht weichen. Da fuhr der breite Hand­rücken des Bauern laut klatschend über sein Gesicht.
    »Was ist komisch?«, tobte der Bauer. Sein Gesicht war glühend rot.
    »Viel«, sagte Jakob und senkte nachdenklich den Kopf.
    »Geh lass ihn doch, Vater«, bat die Seifritz-Bäuerin. »Er kann ja nichts dafür. Er weiß ja nicht, was er sagt.«
    Später, beim Hinausgehen, streifte Silvia Jakobs Hand. Er wagte nicht, sich umzusehen. Der Vater ging mit schwerem Schritt hinter ihnen. Aber Jakob musste sich auch nicht um­sehen. Er fühlte Silvias Blick. Ganz deutlich fühlte er ihn. Und noch etwas fühlte er: Silvias Herz empfand wie das seine.
    Im Hof, der zu seiner abgelegenen Kammer führte, machte Jakob einen Luftsprung. »Jiiiiiihaaaaaaa!«, kreischte er. »Juuu­ huuiiiiii!« Silva hörte seine Jauchzer. Auf ihren Wangen bildeten sich Grübchen.
    ***
    Ich schlafe abseits von den anderen in einer kleinen Kammer, gleich neben dem Stall. Das ist recht praktisch. Wenn es im Winter zu kalt ist, mache ich einfach die Tür auf, und schon strömt die tierwarme Luft zu mir herein. Ich habe mir lange nicht überlegt, warum ausgerechnet ich in der Kammer untergebracht bin, weg von allen anderen. Als ich dann darüber nachgedacht hab, rätselte ich, was mein Vater sagen würde, wenn ich ihn darauf anspräche. Du bist der Älteste, hätte er antworten können, um es sich zu ersparen, mir wieder einmal meine Schwachsinnigkeit zu erklären. Aber er hat eine viel bessere Antwort gefunden. Er hat gesagt: »Also so was Deppertes kannst auch nur du fragen.« Dann hat er vorwurfsvoll den Kopf geschüttelt und ist davongegangen.
    Früher haben die Knechte in der Kammer geschlafen. Aber einen Knecht haben wir ja schon lange nicht mehr. Sobald ich alt genug war, um nicht nur Frauen- und Kinderarbeit zu verrichten, sondern richtige Männerarbeit, hat der Vater keinen Knecht mehr eingestellt. Er hat ja dann mich gehabt, und ich arbeite gut. Meine Kammer ist gerade so geräumig, dass meine Bettstatt bequem hineinpasst, der große Leinen-Strohsack und der Polster, gefüllt mit Haferspelz. Am Fußende steht noch die Kiste mit meinen Sachen und dem Sonntagsgewand drin: Hose, Rock und Hemd, ordentlich zusammengelegt, mit wildem Thymian dazwischen. Am Kopfende stapeln sich Bücher, fast einen Meter hoch. Die haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Wenn ein Buch irgendwo herrenlos herumliegt, schnapp ich es mir. Damit mich die anderen nicht verspotten, habe ich erst gar nicht behauptet, dass ich die Bücher lese. Von Anfang an habe ich gesagt, dass sie nur dazu da sind, die feuchte Wand abzudichten. Und damit der Frost und die Kälte aus der Wand nicht so ungehindert in meinen Kopf wachsen können. Das passiert manchmal. Ich fühle sie, die Kälte, wie sie ganz langsam meinen Kopf umschließt und durch meine Schädeldecke kriecht. Knapp bevor sie durch ist und in mein Hirn eindringen kann, reibe ich mir ganz schnell über die Haare. Das hat noch immer geholfen. Aber die Bücher, die lese ich auch. Ich verstehe zwar nicht jedes Wort, aber das ist, glaube ich, sowieso nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist doch das Staunen über das Neue.
    Sonst kenne ich niemanden, der liest. Außer der Lehrerin freilich, aber in die Schule gehe ich ja schon lange nicht mehr. Der Bürgermeister liest wahrscheinlich auch. Und der Herr Pfarrer. Der Wirt nicht, glaube ich. Und die anderen Bauern rundherum sicher auch nicht. Kein Wunder, dass ihnen langweilig ist, wenn sie einmal nichts zu tun haben. Dann kommen sie bei mir vorbei, meistens sind es Kurt und Franz, die Buben vom Lagler-Hof. Außer dem Huber-Bauern und seiner Frau sind sie unsere einzigen Nachbarn. Sie stiften mich gerne an, irgendeinen Blödsinn zu machen. Dafür bin ich, ehrlich gesagt, leicht zu haben. Zum Beispiel bin ich schon stundenlang im Hendlstall auf einem Querbalken gehockt, wie ein Hendl eben, und habe danach Körner vom Boden aufgepickt. Schon komisch, mir wäre es nicht eingefallen, das zu tun, es war ihre Idee, aber sie haben dann einen Grund mehr gehabt, mich Verrückter zu nennen.
    Dem Lagler Kurt und dem Lagler Franz habe ich
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