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Milchblume

Milchblume

Titel: Milchblume
Autoren: Thomas Sautner
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auch die Idee zu verdanken, mich in andere Menschen, Tiere und Pflanzen hineinzuversetzen. Aber auch in den Wind, den Schnee, den Blitz und den Morgentau. Viel Zeit habe ich in der Hundehütte am Lagler-Hof verbracht, mit einer Kette um den Hals. Mit den Schweinen habe ich aus den Trögen gegessen und mich mit ihnen im Schlamm gewälzt. Und ich habe so getan, als wäre ich eine Kuh und bin nächtelang auf allen Vieren mit den Kühen im Stall gestanden. In einer dieser Nächte bin ich auch draufgekommen, dass ich die Sprache der Tiere verstehe.
    Ich bin nicht ganz sicher, wie ich das mache, mit den Tieren zu reden. Es ist eine Mischung aus Gespür, in die Augen schauen und Sprache. So entsteht ein schönes Gefühl. Ich habe es auch mit Pflanzen probiert. Aber so sehr ich mich anstrenge und konzentriere, Pflanzen sagen mir nichts. Ich habe es mit allem versucht, mit Bäumen, mit Hafer, Gerste, Roggen, Erdäpfeln, Klee, mit Dutzenden Blumen und Kräutern. Aber nichts. Einmal habe ich schon geglaubt, es funktioniert. Ich bin in einem Kukuruzfeld gesessen und habe auf einmal Gedankenfetzen aufgefangen. Komisch, habe ich mir gedacht, der Kukuruz hat Schmerzen. Bis ich bemerkt habe, dass das Gefühl nicht vom Kukuruz gekommen ist, sondern von einem Feldhasen. Wir haben einander nicht bemerkt. Als es dann doch passiert ist, sind wir beide erschrocken. Er ist rasch davon. Sein linker Hinterlauf ist wie abgestorben an seinem Körper gebaumelt.
    Als ich mich zwei, drei Jahre später mit manchen Tieren schon recht ordentlich unterhalten habe können – ganz besonders gut geht es mit Hunden, Schweinen, Krähen und Raben –, da habe ich den Fehler gemacht, es zu erzählen. Freilich war ich wieder der Idiot. Die Leute im Wirtshaus haben sich auf die Schenkel geklopft und gegrölt: »Der Jakob, der hört das Gras wachsen!« Das würde mir gefallen, aber es stimmt leider nicht. Sie haben gejohlt: »Dass der Jakob weiße Mäuse sieht, wissen wir ja, aber jetzt ist er schon so übergeschnappt, dass er auch noch mit ihnen redet!« Ja, das stimmt.
    Ehrlicherweise muss ich sagen, dass die meisten Tiere einen ziemlich einfachen Geist haben. Die meiste Zeit denken sie nur ans Fressen, Saufen, Schlafen und an körperliche Liebe. Und übers Wetter machen sie sich auch so ihre Gedanken. Was meinst du? Ja, da hast du wahrscheinlich recht. Die meisten Menschen beschäftigen sich auch nicht mit viel mehr.

3.
    D er Seifritz-Bauer machte ein griesgrämiges Gesicht. Das tat er schon eine ganze Weile. Er fand, seine Familie sollte ruhig merken, wie groß die Verantwortung war, die er für sie ertrug.
    »Ich frag mich, wo das Zigeunerpack heuer bleibt«, beendete er schließlich das Schweigen, und so wussten alle, womit sich sein Kopf die letzte Stunde beschäftigt hatte. Weil niemand reagierte, besah der Bauer die Glut im Pfeifenkopf und meinte dann: »Lästig wie die Wanzen sind sie, die Zigeuner, aber wenn man sie braucht, kommen sie nicht.«
    »Wirst ihnen zu wenig gegeben haben, letztes Jahr«, sagte die Bäuerin, ohne die bedächtige Arbeit zu unterbrechen, in die sie schon eine kleine Ewigkeit versunken war. Mit glasig verlorenem Blick rührte sie im Butterfass.
    »Blödsinn«, reagierte der Bauer schroff. »Außerdem hat dich niemand um deine Meinung gefragt«, schnauzte er seine Frau an und spuckte eine Ladung Tabaksaft, die sich säuerlich in seinem Mund angesammelt hatte, in die Ecke. Klatschend landete der Schwall auf dem Boden, zog, weil mit Nachdruck ausgeworfen, eine Schleimspur beinahe bis zur Mauer, und hinterließ einen bräunlich glitschigen Extrakt, der alsbald begann, in die Maserung des Holzbodens einzudringen.
    »Nicht in den Herrgottswinkel!«, schrie die Großmutter. Heiliger Zorn durchzuckte ihr Gesicht.
    »Ja, ist schon recht«, zischte der Bauer. Immer waren alle gegen ihn. Alle wussten ihm was zu sagen. Aber der Alte, ausgerechnet der Alte, brachte den Mund nicht auf. Sicher, er hätte ihn auch direkt fragen können, wann er denn nun glaube, dass die Zigeuner auftauchten, um wie jedes Jahr beim Dreschen und den anderen Winterarbeiten zu helfen. Aber den Alten darauf anzusprechen, das ging nicht, ärgerte sich der Seifritz-Bauer. Schließlich war er der Herr im Haus, und nicht der kranke Greis.
    »Sie kommen noch diese Woche«, sagte der Großvater leise und brachte seinen schmächtigen Körper mit vorsichtigen Bewegungen in eine bequemere Position. Mehr sagte er nicht, denn auch er hatte seinen Stolz.
    Die Bäuerin
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