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Milchbart (German Edition)

Milchbart (German Edition)

Titel: Milchbart (German Edition)
Autoren: Jutta Mehler
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ich dankbar dafür sein, ihn zur Seite zu haben. Professionellere Hilfe würde ich kaum finden.«
    »Marco«, begann Hans Rot, doch Fannis Blick brachte ihn zum Schweigen.
    Nach einer etwas lastenden Stille sagte Hans hoffnungsvoll: »Ob der Laden hier wohl dichtmacht? Dieser Mord an einer Therapeutin muss doch alles durcheinanderbringen. Die Polizei wird ständig aus und ein gehen, einen Haufen Fragen stellen, quasi ihr Hauptquartier hier aufschlagen.«
    Fanni musste sich ein wissendes Lächeln verbeißen.
    Hans Rot würde einen Luftsprung machen, wenn man sämtliche Patienten kurzerhand entließe!
    Er würde mich eiligst in seinen Wagen schaffen und nach Erlenweiler bringen, gab Fanni der Gedankenstimme recht.
    Und dort würde er alles von dir fernhalten, was dich an die vergangenen sechs Jahre erinnern könnte!
    Ja, dachte Fanni, Hans möchte von einem Zeitpunkt an weitermachen, der so weit als möglich vor Sprudels erstem Erscheinen liegt. Die vergangenen sechs Jahre würde er gern ausklammern, wegräumen, aufsaugen. Er wünscht sich nichts mehr, als dass ich mich nie wieder daran erinnere.
    Dann kann auch er vergessen, was sich ereignet hat. Ein kurzer Schrieb und das Scheidungsurteil wird niemals rechtskräftig!
    So weit sind wir noch lange nicht.
    Laut sagte Fanni zu ihrem Mann: »Während die Polizei mein Zimmer durchsucht hat, habe ich mit Professor Hornschuh …«
    »Die haben dein Zimmer durchsucht?«, unterbrach sie Hans.
    »Natürlich«, erwiderte Fanni. »Man sucht ja fieberhaft nach dem Drahtstück, mit dem Frau Bogner stranguliert worden ist.«
    »Aber wieso denn hier bei dir?«, regte sich Hans auf. »Die konnten doch gar nicht wissen, dass deine Fingerabdrücke und deine DNS auf dem Dings sind, von dem dieser Draht entfernt wurde.«
    Fanni sah ihren Mann missbilligend an. »Wäre es nicht ziemlich dumm von mir gewesen, das zu verschweigen? Ein Blick genügt ja, um festzustellen, dass ich im Handteller eine Wunde habe und an der Figur Blut klebt.«
    Hans Rot taxierte sie eine Sekunde lang, dann sagte er: »Hat man den Draht etwa gefunden?«
    »Bei mir?«, keuchte Fanni und hoffte, sich getäuscht zu haben.
    Er kann doch nicht im Ernst glauben …
    Er kann es, und er tut es auch! Du hast einen Hirnschaden, Fanni! Oder willst du das etwa abstreiten?
    Hirnschaden? Ich glaube nicht, dass man eine partielle Amnesie so bezeichnen …
    Jetzt komm mir nicht mit Ausreden! Das Gedächtnis sitzt im Hirn und hat Schaden genommen! Folglich hast du einen Hirnschaden – und damit basta.
    Unvermittelt fragte sich Fanni, inwieweit sie sich eigentlich selbst trauen konnte. Die Verletzungen, die man ihr in dem Nomadenzelt am Rande der marokkanischen Wüste zugefügt hatte, konnten ja durchaus Schlimmeres angerichtet haben als einen zeitlich recht klar begrenzten Gedächtnisverlust.
    Eben. Wer weiß, was du heute Morgen angestellt hast. Es würde womöglich nicht schaden, bei deinem Mann Schutz zu suchen!
    Soll ich etwa weglaufen und mich unter Hans’ Rockschößen verstecken?, fragte sich Fanni. Wer hätte daraufhin noch ein Interesse daran, zu beweisen, dass ich die Wahrheit sage? Man würde mich als Irre abstempeln – und was dann?
    Die Geschlossene?
    »Der Betrieb geht also weiter«, sagte Hans Rot.
    »Welcher Betrieb?«, fragte Fanni verwirrt.
    »Der Klinikbetrieb. Die tote Therapeutin wird schleunigst durch eine lebendige ersetzt, und schon ist nach außen alles wieder in Ordnung.«
    Hans Rots Interessen laufen denen von Fritz Hornschuh diametral zuwider!
    Was keine Bedeutung hat, dachte Fanni, weil ihn niemand um seine Zustimmung bitten wird.
    Sie öffnete den Mund, um ihm zu erklären, dass es nicht nur sinnlos, sondern den Patienten gegenüber geradezu unverantwortlich wäre, die Klinik von einem Tag auf den andern zu schließen, überlegte es sich jedoch anders.
    Wozu, dachte sie, wozu einen Disput über Entscheidungen austragen, die weder Hans noch ich zu fällen haben?
    Andererseits hatte sie nicht übel Lust, ihrem Mann Paroli zu bieten.
    Früher hättest du nicht im Traum daran gedacht, ihm ohne triftigen Grund zu widersprechen!
    Ich weiß, dachte Fanni. Die Erkenntnis, dass ich es jetzt am liebsten tun würde, und die Tatsache, dass ich mich bei allen möglichen Gelegenheiten gegen ihn auflehne, beweisen, wie sehr ich mich in den vergessenen Jahren verändert habe.
    Vor gut zwei Wochen beispielsweise hatte sie es ohne mit der Wimper zu zucken abgelehnt, ihn zur Allerheiligenandacht auf den
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