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Michael, der Finne

Michael, der Finne

Titel: Michael, der Finne
Autoren: Mika Waltari
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stießen mich zu Boden. Während ich mich mühsam erhob, hatte ich kaum noch Zeit, einen wütenden Stier auf mich zustürzen zu sehen, als er mich auch schon auf die Hörner nahm und mich mit einem Ruck seines gewaltigen Nackens haushoch emporschleuderte. Als ich wieder zu Boden fiel, sah ich einen Streifen meines Talars von einem Horn des Tieres herabhängen. Es hatte sein Leitseil zerrissen und die Binde von seinen Augen gestreift und keuchte und schnob nun, daß der Staub flog, stampfte den Boden und drohte, mich zu durchbohren, wo ich lag. Ich dachte, mein letztes Stündlein sei gekommen, und war vor Schreck so starr, daß ich keinen Schmerz fühlte, noch konnte ich auch nur das kürzeste Gebet für mein Seelenheil stammeln. Allein in diesem Augenblick trat ein herkulisch gebauter Bauernbursche an den Stier heran, packte ihn gelassen an den Hörnern und zwang ihn mit Gewalt auf den Rücken.
    Während das Tier schlagend und fürchterlich brüllend auf dem Boden lag, wandte sich der Junge nach mir um und fragte: »Bist du verletzt?«
    Erst jetzt fühlte ich Schmerzen. Ich begann am ganzen Körper zu zittern und murmelte Dankgebete für meine Errettung. Männer stürzten herbei, fesselten dem Stier die Beine und verbanden ihm die Augen. Der Bauer, der ihn zum Fleischer geführt hatte, schwor mehrmals, es sei der ruhigste und gesittetste Stier, den man sich denken könne, und ich müßte ihn gereizt haben. Zu meiner großen Freude warf der Stier seinen Kopf so heftig empor, daß er dem Mann die Schulter ausrenkte, wodurch er ihn bewog, sein törichtes Gerede abzubrechen; er klagte, die Stadt Abo sei vom Teufel besessen und er hätte seinen braven Stier nie an einen solchen Ort bringen dürfen.
    Ich wandte den Blick meinem Retter zu und betrachtete ihn genau, hatte ich ihm doch mein Leben zu verdanken. Er überragte mich um Haupteslänge, und seine grauen Augen blickten schläfrig drein. Er hatte Schuhe an und trug einen Ranzen aus Birkenrinde, und seine zerrissene Joppe zeigte, daß er arm war.
    »Du bist stark, daß du einen Stier mit bloßen Händen zu werfen vermagst«, sagte ich. »Ich habe dir zu danken, daß du mein Leben gerettet hast.«
    »Ach, das war nichts«, antwortete er und schien verlegen. Ich bemerkte, daß mir Blut aus der Brust lief. Ich spürte einen stechenden Schmerz in den Rippen und war so schwindlig, daß ich mich an die Mauer lehnen mußte.
    »Wohin des Weges?« fragte ich ihn.
    »Der Nase nach«, versetzte er; er hielt meine Frage offenbar für überflüssig und zudringlich. Davon unbeirrt, bat ich ihn jedoch, mich zu Jungfer Pirjo zu begleiten, denn meine Knie waren so schwach, daß ich nicht allein nach Hause gekommen wäre..
    Als ich wenige Augenblicke zuvor auf dem Boden lag und in die schnaubenden Nüstern des Stiers schaute, hätte ich mit Freuden all meine Habe der Kirche geschenkt, wenn ich nur gerettet würde; nun aber war ich dankbar für den harten Stoß, der mich betäubt hatte, bevor ich noch voreilige Versprechungen machen konnte. Und als ich nun, auf den jungen Bauer gestützt, nach Hause schwankte, von einer Schar ängstlicher und mitleidiger Menschen gefolgt, dachte ich, ich würde ihm mein Dolchmesser samt der silberbeschlagenen Scheide und das Geld geben, das ich mir von meinem Lohn im Sommer erspart hatte. Als wir jedoch bei Jungfer Pirjos Hütte anlangten, verwünschte ich bereits meine unnötige Freigebigkeit und fühlte, drei Silbergroschen wären wohl zuviel für einen jungen Mann, der selten, wenn überhaupt, eine geschlagene Münze in der Hand gehalten haben konnte.
    Jungfer Pirjo weinte bitterlich, als sie mich in meinem kläglichen Zustand sah und hörte, was sich zugetragen hatte. Sie entkleidete mich, als wäre ich wieder ein Kind, und kam eilig mit Salben herbei. Eine sorgfältige Untersuchung ließ sie erkennen, daß ich zwei Rippen gebrochen hatte; sie verband mir die Brust so fest, daß ich kaum atmen konnte, und steckte mich in ihr eigenes Bett. Währenddessen saß der Bauer friedlich auf der Schwelle und kaute ein Stück hartes Brot und etwas getrocknetes Hammelfleisch, das er seinem Ranzen entnommen hatte. Die Kinder, die uns nachgelaufen waren, sammelten sich um ihn und glotzten ihn an, bohrten in den Nasen und rieben ein Bein am andern. Schließlich verjagte Jungfer Pirjo sie und forderte den Jungen auf, einzutreten.
    »Wie heißt du, und wie heißt dein Vater? Woher kommst du? Was bist du deines Zeichens? Wohin des Weges? Was führte dich zu Michaels
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