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Mia - Vom Schicksal gezeichnet (Buch 1) (German Edition)

Mia - Vom Schicksal gezeichnet (Buch 1) (German Edition)

Titel: Mia - Vom Schicksal gezeichnet (Buch 1) (German Edition)
Autoren: M.S. Stone
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gezeichnet … und dies ist meine
Geschichte.

1
    Der Klang
meiner Schritte am abgenutzten Linoleumboden; das Ticken der Uhr über dem
Stationsstützpunkt; das quietschende Geräusch der Räder, wenn die Patienten mit
ihren Infusionsständern am Gang spazieren gehen; … das alles war mir vertraut,
zu vertraut. Ich passierte gerade den Gedenktisch, wo für die verstorbenen
Patienten Blumen und Kerzen standen, und der mich daran erinnerte, warum ich
einen Tapetenwechsel dringend nötig hatte.
    „Hei
Mia.“ Elisabeth trat aus Herrn Bertis Zimmer. Diagnose: Schilddrüsenkrebs.
Lebenserwartung: längst überschritten.
    „Was
machst du noch hier? Heute ist doch dein letzter Arbeitstag. Hast du nicht
einen Flug nach London?“ Elisabeth war erst das zweite Jahr auf der
Onkologiestation. Sie war immer fröhlich und gut gelaunt. Wie ich in meinen
ersten Jahren.
    „Ja. Sara
holt mich dann ab. Ich wollte nur noch mal zu Frau Maier in der 4.“
    Die
Fröhlichkeit wich aus Elisabeths Gesicht. Frau Maier war dem Tod näher als dem
Leben. Aufgrund ihres stetig wachsenden Hirntumors, der schon seit etlicher
Zeit erheblichen Druck auf ihr Gehirn ausübte, war Frau Maier nicht immer bei
Bewusstsein, und wenn sie es war, redete sie oft wirres Zeug. Ich kannte Frau
Maier seit sie vor 6 Monaten zu uns kam und habe jeden Rückschritt in ihrer
Therapie erlebt. Trotz aller Grundsätze die man sich auferlegt, würde ich
lügen, wenn ich behaupten würde, ihr Verfall hätte mich nicht persönlich
getroffen.
    „Hast du
ihr gesagt, dass du nicht mehr bei uns arbeitest?“ Sie sah mich wehmütig an.
    Ich
seufzte. „Ja, aber ich weiß nicht ob sie es mitbekommen hat. In letzter Zeit
hat sie mehr schlechte als gute Tage.“
    „Arme
Frau, war immer so nett zu uns.“
    Ja, das
war sie. Wieder einmal wurde mir bewusst, dass ich den Tod nicht mehr ertragen
konnte. Nicht mehr stark genug war, Menschen beim Sterben zuzusehen. Nette
Menschen, hilfsbereite Menschen, liebenswerte Menschen. Mit anzusehen, wie sie
langsam, aber unaufhaltsam, verwelken, ohne dass man irgendetwas dagegen tun
könnte.
    Leise
öffnete ich die Zimmertür und trat ein. Automatisch horchte ich auf
Atemgeräusche die mir verrieten, dass der Patient noch am Leben war. Frau Maier
lag ruhig und mit geschlossenen Augen, in ihrem Bett. Vorsichtig nahm ich die
Vase, die noch die Blumen vom Vortag enthielt, und tauschte sie gegen die Neuen
aus, die ich heute beim Blumenstand an der Ecke besorgt hatte. Weiße
Margeriten, ihre Lieblingsblumen. Sie hatte keine Verwandtschaft, keine Freunde
und bekam nie Besuch. Sie lebte allein und würde auch alleine sterben. „So ist
es besser, ich lasse nichts zurück.“, waren einst ihre Worte.
    Möglichst
geräuschlos zog ich den spartanischen Stuhl, dessen Sitzfläche aus einer
orangen Plastikschale bestand, an ihr Bett.
    Leicht zu
reinigen, das beschrieb die ganze Einrichtung. Tägliche Oberflächendesinfektion
war in einem Hospiz nicht so vorrangig wie in einem Krankenhaus, aber, nach dem
Abschied eines Patienten aus dem Leben, musste für den nächsten alles steril
sein.
    Doch der
Tod ließ sich nicht durch Desinfektion vertreiben, nicht mit alkoholhaltigen
Mitteln abwaschen. Er war hier allgegenwärtig, hing wie Nebelschwaden in der Luft
und verfolgte einem jeden Tag, still und leise, bis er zuschlug und erneut eine
Seele aus unserer Mitte riss.
    Als ich
Frau Maiers hagere, faltige Hand in meine nahm, und meine Finger sanft über
ihren Handrücken strichen, begannen ihre Lider zu flatterten und ihre Atmung
beschleunigte sich.
    Ich
atmete noch einmal tief durch, wappnete mich für das was folgen würde und
lichtete meine innere Barriere. Augenblicklich drang meine verfluchte Gabe an
die Oberfläche und offenbarte mir die Gefühle, die diese Frau barg.
    Keine
Schmerzen, kein Leid. Das war gut.
    „Mia?“
Ihre Stimme war dünn und brüchig.
    „Ja Frau
Maier, ich bin es, Mia.“
    „Mia,
bist du es? … Meine Mia?“
    Ich
wusste nicht ob sie mich heute erkennen würde. Ihre Augen waren trüb, ihr Blick
verschleiert. „Ja, ich bin hier.“
    „Dunkelheit
… Licht …“, murmelte sie, wobei ihre schmalen, bläulich verfärbten Lippen
leicht zitterten.
    Es war
nichts Besonderes wenn die Patienten von Lichtern und Dunkelheit sprachen.
Vielleicht war es wirklich so, dass man das Gefühl hatte ins Licht zu gehen. In
das Licht am Ende des Tunnels. Der Übergang vom Leben zum Tod.
    „Ja, in
der Dunkelheit ist ein Licht, Frau Maier!“,
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