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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore
Autoren: Jack London
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habe. Mit einem einzigen nach oben gerichteten Hieb der offenen Hand (es waren nur die Finger, die Larrys Gesicht trafen) schleuderte er Larry hoch, daß er rücklings auf seine Kiste fiel. Der Mann neben Larry ließ ein drohendes Knurren hören und wollte kampfbereit aufspringen. Aber er kam gar nicht erst auf die Beine. Mit dem Handrücken gab Pike dem Mann eine ungeheure Backpfeife. Das laute Klatschen des Schlages wirkte einfach verblüffend. Die Kraft des Steuermanns war wirklich ungeheuerlich! Der Schlag sah so leicht, so mühelos aus – es erinnerte an den trägen Tatzenhieb eines gutmütigen Bären, aber es lag ein solches Gewicht von Knochen und Muskeln darin, daß der Mann auf das Deck kollerte.
    In diesem Augenblick kam O’Sullivan zufällig vorbei. Er murmelte plötzlich etwas lauter als sonst. Herr Pike hörte es. Sofort wandte er sich kampfbereit wie ein Raubtier zu O’Sullivan um. »Was gibt’s?«
    Da sah Pike den blöden Ausdruck in O’Sullivans Gesicht und hielt den Schlag zurück. »Narrenhaus«, murrte er.
    Unwillkürlich hatte ich nach oben geschaut, um zu sehen, ob Kapitän West auf der Kampanje war, und stellte fest, daß wir durch das Mittschiffshaus getrennt waren.
    Der Steuermann nahm keine Notiz weiter von dem Mann, der stöhnend auf dem Deck lag, sondern stellte sich über Larry, der ebenfalls wimmerte. Der Rest der Bande, die auf dem Luk herumgelungert hatte, stand schon auf den Beinen, überwunden, geknechtet, voller Respekt, und auch ich war von Bewunderung für diesen furchtbaren alten Mann erfüllt. Was ich gesehen, hatte mich völlig von der Wahrheit seiner Erzählungen aus seiner männerhetzenden und männertötenden Vergangenheit überzeugt.
    »Wer ist jetzt ein alter Schuft?« fragte er.
    »Ich, Steuermann«, jammerte Larry reuevoll.
    »Aufstehen!«
    Ohne Schwierigkeit kam Larry sofort auf die Beine.
    »Und jetzt voraus ans Spill, Mann! Ans Spill!«
    Sie gingen mürrisch und mit schleppenden Füßen, geknechtete Tiere, die sie waren.

    Ich erstieg die Treppe zum Vorschiff (das, wie ich feststellte, das Vorderkastell, die Kombüse und den Donkey-Maschinenraum enthielt) und ging über die Laufbrücke bis zum Fockmast, von wo ich sehen konnte, wie die Mannschaft den Anker lichtete. Die Britannia lag längsseits, und wir begannen zu laufen.
    Ein großer Teil der Mannschaft ging im Kreise um das Spill herum oder war anderweitig auf der Back beschäftigt. Die eigentliche Mannschaft war in zwei Wachen eingeteilt, deren jede fünfzehn Mann zählte. Dazu kamen noch Segelmacher, Schiffsjungen, Bootsmänner und Zimmerbaas. Im ganzen waren es also nicht weniger als vierzig Mann – aber was für welche! Sie waren schlechtgelaunt und schwerfällig. Sie hatten keinen Mumm, kein Feuer, keine Spur von Energie. Jede Bewegung, die sie machen mußten, jeder Handgriff schien sie Mühe zu kosten, man hatte den Eindruck, daß sie Schwerkranke waren, die man aus Krankenhausbetten herbeigeschleppt hatte.
    Und krank waren sie ja wirklich – krank vom Suff –, und verhungert und unterernährt. Am schlimmsten aber war, daß sie entweder schwachsinnig oder verrückt waren.
    Ich betrachtete das komplizierte Tauwerk, die stolzaufragenden Masten mit den mächtigen Rahen, die immer höher emporwuchsen, bis die stählernen Masten und Rahen durch schlanke Spieren aus Holz ersetzt waren. Die mannigfachen Taue und Stags der Takelung hoben sich wie das feinste Spinngewebe vom Himmel ab. Daß eine solche Gesellschaft von Jammergestalten imstande sein sollte, dieses wunderbare Schiff durch Sturm, Finsternis und Gefahren zu lenken, erschien mir jenseits aller Wahrscheinlichkeit. Ich dachte an die beiden Offiziere, an die geistige und körperliche Überlegenheit Pikes und Mellaires – aber sollten selbst die aus Schwächlingen soviel herausholen können?
    Ich sah mir die verkrüppelte, verhungerte, verwelkte Schar von kranken Männern an, die ihren traurigen Trott im Kreise um das Spill machte. Pike hatte wirklich nicht unrecht: Diese Leute hatten nichts gemein mit den feurigen, kräftigen, verteufelten Seeleuten, die die Schiffe in den guten alten Tagen bemannten. Warum in aller Welt sangen sie nicht beim Ankerlichten, wie sich’s gehört? In alten Tagen – das hatte ich tausendmal gelesen – wurde der Anker stets gelichtet, während die Männer ihre heiteren Lieder dazu sangen.
    Bald wurde es mir langweilig, diese geistlose Vorstellung länger anzusehen, und ich ging auf meiner Forschungsreise wieder
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