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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore
Autoren: Jack London
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Mann am Ruder einen Befehl. Sehen Sie, er mußte ja auch die Dixie an allen Schiffen, die im Hafen lagen, vorbeimanövrieren. Selbstverständlich ertranken einige, aber er rettete doch viele Hunderte vorm Ertrinken. Erst als der letzte den Dampfer verlassen hatte – er schickte einen Mann an Bord, um nachzusehen –, ließ er die Segel bergen. Und dann sank der Dampfer sofort.«
    »Prachtvoll«, räumte ich ein. »Ich hege die größte Bewunderung für den ruhigen Mann der Tat, wenn ich auch gestehen muß, daß eine solche Ruhe unter so kritischen Verhältnissen mir fast übermenschlich erscheint. Ich kann mir nicht denken, daß ich selbst so handeln könnte, und ich bin überzeugt, daß ich vorhin mehr litt als der arme Teufel im Wasser, ja als sämtliche Zuschauer zusammen.«
    »Papa leidet auch«, verteidigte sie redlich ihren Vater. »Er zeigt es nur nicht.«
    Ich antwortete durch eine Verbeugung, denn ich merkte, daß sie gar nicht begriffen hatte, worauf ich hinaus wollte.

    Als ich wieder an Deck kam, war der Schlepper Britannia bereits in Sicht. Er sollte uns durch die Chesapeake-Bucht ins offene Meer hinausschleppen. Als ich vorausschlenderte, sah ich, wie Sundry Buyers die Matrosen aus dem Vorderkastell trieb. Ein anderer Mann half ihm, die Leute aus der Back zu holen. Ich fragte Pike, wer das sei.
    »Nancy – mein Bootsmann. Ein Prachtkerl, nicht wahr?« lautete die Antwort. Aus der Art, wie der Steuermann sprach, konnte ich seinen Spott heraushören.
    Nancy konnte kaum mehr als dreißig Jahre alt sein, sah aber viel älter aus. Er hatte keine Zähne, machte einen trübseligen Eindruck und hatte müde Bewegungen. Seine Augen waren schiefergrau und matt, sein glattrasiertes Gesicht hatte eine gelbe, ungesunde Farbe. Mit den schmalen Schultern, der eingefallenen Brust und den tief ausgehöhlten Wangen glich er einem Schwindsüchtigen im letzten Stadium. Und solche Leute waren Bootsmänner – Bootsmänner des schönen Segelschiffes Elsinore!
    Es war mir ganz klar, daß diese beiden einfach die Männer fürchteten, die sie leiten und antreiben sollten. Und die Mannschaft selbst? Es war das erstemal, daß ich sie in ihrer Gesamtheit kennenlernte, und ich kann die beiden Bootsmänner tatsächlich nicht einmal tadeln, wenn sie Angst hatten. Diese Seeleute schlichen und schlotterten, einzelne schwankten und taumelten sogar, aus Schwäche oder Trunkenheit.
    Aber das Schlimmste waren doch ihre Gesichter. Unwillkürlich mußte ich daran denken, was Fräulein West mir soeben gesagt hatte: daß alle Schiffe einzelne Verrückte oder Schwachköpfe unter ihrer Mannschaft hätten. Diese aber sahen aus, als ob sie alle verrückt oder schwachsinnig wären… Unwillkürlich mußte ich mich fragen, wo man überhaupt eine solche Sammlung menschlicher Wracks hatte ausfindig machen können! Irgendein Gebrechen hatte jeder von ihnen. Einer – ein großer Bursche, offenbar irischer Abstammung – war unverkennbar verrückt. Er sprach und murmelte beständig vor sich hin. Ein kleines, buckliges Männlein, das immer den Kopf schief hielt, fahle blaue Augen und das pfiffigste und bösartigste Gesicht hatte, das mir je vorgekommen war, erzählte dem verrückten Iren, den er O’Sullivan nannte, einen gemeinen Witz. Aber O’Sullivan nahm keine Notiz davon, sondern murmelte weiter. Dicht hinter dem Männchen erschien ein übergroßer, dicker, junger Trottel, und nach ihm ein anderer junger Bursche, so lang aufgeschossen und ausgehungert, daß man sich nur wundern konnte, wie sein bißchen Fleisch noch die Knochen zusammenhielt. Nach diesem wandelnden Skelett aber kam das seltsamste Geschöpf, das ich je im Leben gesehen. Gesicht und Körper waren wie von tausendjährigen Martern verzerrt. Er glich einem mißhandelten und blödsinnigen Faun. Seine großen schwarzen Augen leuchteten mit einem merkwürdig eifrigen und schmerzlichen Ausdruck: Sie glitten fragend von Gesicht zu Gesicht, von einem Gegenstand zum andern. Sie waren schmerzhaft wach, diese Augen, als suchten sie stets den Schlüssel zu einem überwältigenden und verhängnisvollen Rätsel. Erst später lernte ich den Grund dieses merkwürdigen Blickes kennen – der Mann war stocktaub, sein Trommelfell war bei der Kesselexplosion geplatzt, die auch sonst seinen Körper verunstaltet hatte.
    Ich bemerkte den Steward, der in der Kombüsentür stand und die Männer aus der Ferne beobachtete. Sein scharfes asiatisches Gesicht mit dem lebhaften und gescheiten Ausdruck war ein
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