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Meuterei auf der Elsinore

Meuterei auf der Elsinore

Titel: Meuterei auf der Elsinore
Autoren: Jack London
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seiner Hand blinken.
    Glocken läuteten schrill an Bord des Schleppers, als er hindampfte, um Hilfe zu bringen. Ich warf einen verstohlenen Blick auf Kapitän West – er war auf die Backbordseite der Kampanje getreten, stand jetzt, mit den Händen in den Taschen, da und starrte bald voraus nach dem kämpfenden Mann, bald achteraus nach dem Schlepper. Er gab keine Befehle, zeigte nicht die geringste Erregung und erschien mir – so darf ich ruhig sagen – als der gleichgültigste Zuschauer, den man sich denken kann.
    Der Mann im Wasser wollte sich jetzt ausziehen. Ich sah zuerst den einen nackten Arm und dann den anderen erscheinen. Infolge seiner Anstrengungen verschwand er zuweilen ganz unter Wasser, tauchte aber immer wieder auf, schwang sein blitzendes Messer, johlte und heulte.
    Ich schlenderte nach vorn und kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Mann über die Reling der Elsinore gezogen wurde. Er war splitternackt, mit Blut beschmiert und vollkommen wild. Er hatte sich selbst an zahlreichen Stellen geschnitten und zerfleischt. Aus einer Wunde am Handgelenk spritzte das Blut bei jedem Pulsschlag. Er war ein widerliches, kaum menschliches Geschöpf. Ich habe einmal einen gereizten Gorilla in einem Zoo gesehen, und daran erinnerte mich dieses tiergesichtige, zitternde Wesen… Die Seeleute umringten ihn, packten ihn und zerrten an ihm, während sie lachten und hurra brüllten. Die beiden Offiziere stießen sie beiseite, zogen den Verrückten über das Deck und verschwanden mit ihm in einem Raum mittschiffs. Unwillkürlich fiel mir die Kraft der beiden Offiziere auf. Ich hatte viel von der übermenschlichen Kraft von Irren gehört, aber dieser Verrückte war wie ein Strohhalm in ihren Händen. Als sie ihn in die Koje geschleppt hatten, hielt Pike den strampelnden Mann ohne Mühe mit einer Hand fest, während er den Untersteuermann nach Marlileinen schickte, um dem Verrückten die Arme zu binden.
    »Säuferwahnsinn« – sagte Pike grinsend zu mir –, »ich habe manchen von der Sorte kennengelernt, aber der hier schlägt doch jeden Rekord.«
    »Was wollen Sie mit ihm machen?« fragte ich. »Der Mann verblutet ja.«
    »Um so besser«, sagte er ohne Zögern. »Der wird uns noch genug zu schaffen machen, bis wir ihn loswerden können. Wenn er wieder vernünftig geworden ist, werde ich ihn zusammenflicken… Selbst wenn ich ihm erst einen tüchtigen Kinnhaken geben muß, damit er stilliegt.«
    Ich betrachtete seine Riesenpranken und verstand, daß er imstande war, einen Mann mit ihnen zu betäuben. Dann ging ich wieder auf Deck. Da bemerkte ich Kapitän West auf der Kampanje, noch immer mit den Händen in den Taschen; ohne jedes Interesse für alles, was um ihn her geschah, starrte er auf eine blaue Lichtung im nordwestlichen Himmel. Mehr noch als die Steuerleute und der Verrückte, mehr als die Empfindungslosigkeit der besoffenen Mannschaft machte diese ruhige Gestalt mir klar, daß ich mich in einer Welt befand, die sich vollkommen von allem unterschied, was ich bisher kennengelernt hatte.
    Wada riß mich aus meinen Gedanken, Fräulein West schickte ihn, um mich zu einer Tasse Tee in die Kajüte zu bitten.
    Der Gegensatz, der sich mir bot, als ich in die Kajüte trat, war überwältigend. An Stelle der kalten harten Decksplanken fühlten meine Füße jetzt einen weichen Teppich, in dem sie versanken. Statt in dem elenden engen Raum mit vier Wänden aus bloßem Eisen, wo ich den Verrückten verlassen hatte, sah ich mich jetzt in einem großen, schönen Salon. Noch immer mit den aufgedunsenen und dreckigen Gesichtern vor meinen Augen, sah ich jetzt eine schöne Dame in elegantem Kleid vor mir. Sie saß an einem chinesischen Lacktischchen, auf dem ein Teeservice aus feinstem chinesischem Porzellan stand. Hier atmete alles Ruhe und Behaglichkeit. Mit lautlosen Schritten und ausdruckslosem Gesicht bewegte sich der Steward wie ein Schatten; ohne daß man es merkte, kam er, besorgte irgend etwas und verschwand dann ebenso schweigsam und still.
    Ich konnte mich nicht gleich von meinen Gedanken befreien, und als Fräulein West den Tee eingoß, lachte sie: »Sie sehen aus, als hätten Sie Gespenster gesehen. Der Steward erzählte mir, daß ein Mann über Bord gefallen war. Aber ich denke, das kalte Wasser hat ihn wieder nüchtern gemacht.«
    Ihre Gleichgültigkeit berührte mich unangenehm.
    »Der Mann ist verrückt«, sagte ich. »Das Schiff ist nicht der rechte Ort für ihn. Man hätte ihn an Land in ein Krankenhaus
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