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Messertänzerin

Messertänzerin

Titel: Messertänzerin
Autoren: S Rauchhaus
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Frauen schockiert tuschelten, während die Männer ihr Vergnügen an der Vorstellung nicht verhehlen konnten. Unvermittelt erhob sich der Gastgeber mit rotem Gesicht und klatschte in die Hände.
    Niemand wagte zu atmen. Jeder wollte seine Worte hören. Nur die Tänzerin wirbelte weiter, ohne ihn zu beachten.
    »Schluss!« Die Stimme hallte wie ein Peitschenschlag durch den Raum. Die Frau auf der Bühne blieb ungerührt, sie schien sich dem Höhepunkt des Tanzes zu nähern. Schwarzer Stoff und schwarze Haare flammten wie eine Totenkerze, und die weißen Arme flogen wie die Schwingen eines weißen Vogels, der in dieser Flamme verbrannte. Jolissa erstarrte. Auf dem nackten Arm meinte sie eine halbmondförmige Narbe erkannt zu haben.
    Mit einem Ruck blieb die Tänzerin plötzlich stehen und sah dem Gastgeber direkt ins Gesicht. Niemand hatte genau erkennen können, wo das Messer herkam, aber alle waren sich sicher, dass nur sie es geworfen haben konnte. Niemand hatte es fliegen sehen. Es vibrierte in der hohen Rückenlehne – und hatte Jolissas Ehemann nur um wenige Zentimeter verfehlt.
    Innerhalb von Sekunden bildeten die Wachen einen Halbkreis um die Bühne und hoben ihre Lanzen. Die Tänzerin hatte keine Chance zu entkommen. In diesem Moment nahm sie ihre Maske ab. Jolissa stockte der Atem. Es war Divya!
    Ihre beste Freundin griff mit blitzenden Augen nach einer Lanzenspitze, setzte sie sich direkt an den Hals und sagte zu dem Mann, der die Waffe festhielt: »Jetzt musst du mich töten.«

Lichter
    Als Kind war Divya immer davon überzeugt gewesen, dass alle Mädchen so wären wie sie. Dass alle mit vier Jahren von ihren Müttern verkauft wurden. Dass alle anfangs als Dienerinnen arbeiten mussten. Und dass alle die schimmernden Lichter sehen konnten, die manchmal im Zimmer herumschwirrten.
    Zumindest das mit den Lichtern konnte aber nicht stimmen, denn niemand außer Divya verfolgte ihren Flug mit seinen Blicken. Und sie fragte sich oft, warum die anderen Mädchen erst mit zwölf Jahren an diese Schule kamen. Erst ein Jahr bevor sie selbst so alt war, verstand sie den Weg, der ihr vorgezeichnet war. Seit dem Tag, an dem Sada sie zur Seite genommen und ihr das Geheimnis verraten hatte: dass nämlich jedes Mädchen, aus welcher Kaste es auch sei, an seinem zwölften Geburtstag eine Ausbildung wählen dürfe. Es musste nur richtig gekleidet und pünktlich am frühen Morgen dazu erscheinen. Divya hatte es zunächst kaum glauben können. Aber Sada hatte eine Schülerin, die zufällig in der Nähe stand, hinzugerufen und das Mädchen hatte ihre Worte bestätigt. Seit diesem Tag hatte es Divya nichts mehr ausgemacht, die anderen bedienen zu müssen. Sie wusste ja, dass das nur die erste Stufe war.
    An ihrem zwölften Geburtstag stand sie auf, als alles noch schlief. Sie wusch ihr langes Haar mit dem duftenden Saft des Kumjabaumes, bis es glänzte – tiefschwarz. Die falsche Farbe, aber das konnte sie in den nächstenJahren ändern. Danach flocht sie es kunstvoll in acht schmale Zöpfe, so wie sie es schon oft bei den Mädchen an dieser Schule getan hatte: Vier Zöpfe wurden ihrerseits auf dem Kopf miteinander verflochten, als Symbol für die vier Geheimnisse der Frauen, vier wurden so gelegt, dass sie nach vorn über die Schultern fielen, als Symbol für die vier Tugenden einer Tana. Als Divya im ersten Licht der Sonne vor den Spiegel trat, lächelte ihr eine völlig Fremde entgegen. Mit dem blass gepuderten Gesicht und den zu Halbmonden gezupften Augenbrauen sah sie endlich genauso aus wie eine Schülerin.
    Wie oft hatte sie davon geträumt! Und wie oft hatte sie den Unterricht heimlich vom Holzsteg der Dienerschaft aus verfolgt und Maitas Worten gelauscht. Genau vor einem Jahr, nach dem Gespräch mit Sada, hatte die Schulleiterin die Neuen mit den Worten begrüßt: »Es liegt an jedem Mädchen selbst, ob es die harte Ausbildung zur Tana schaffen kann. Ihr braucht Aufmerksamkeit, Disziplin und Demut. Wenn ein Mädchen sich dafür entscheidet, diesen schweren Weg bis zum Ende zu gehen, wird ihm als Tana jeder Palast dieser Stadt offenstehen. Möchtet ihr das?«
    An dieser Stelle ging ein Raunen durch die Reihen und jede Schülerin murmelte ein leises »Ja«. Und Divya hatte von ihrem Holzsteg aus mitgemurmelt.
    »Die Erziehung einer Tana«, fuhr Maita mit lauter Stimme dazwischen, »vollzieht sich auf vier Stufen. Mit vier Jahren übernimmt sie leichte, untergeordnete Aufgaben und beobachtet die anderen Tanas, um von ihnen
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