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Merlin - Wie alles begann

Merlin - Wie alles begann

Titel: Merlin - Wie alles begann
Autoren: Thomas A. Barron
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die beiden erreicht hatte, wechselte es die Richtung.
     Der Stein sauste an ihm vorbei und schlug auf den Boden.
    Der Junge war verblüfft – war es möglich, dass er das Tier erschreckt hatte? Schnell bückte er sich nach einem weiteren Stein.
     Da nahm er eine Bewegung hinter sich wahr und wandte sich um.
    Aus den Büschen hinter der alten Eiche sprang ein riesiger Hirsch, bronzefarben bis auf die weißen Hufstiefel an jedem Bein,
     die glänzten wie reinster Quarz. Der Hirsch senkte sein mächtiges Geweih. Dessen vierzehn Enden zielten wie Speere nach dem
     Keiler, als der Hirsch mit einem Satz auf ihn losging. Doch der Keiler konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen.
    Während er noch torkelte und wild knurrte, machte der Hirsch wieder einen Satz. Der Junge nützte den Augenblick und zerrte
     die bewegungslose Frau in die Höhlung des Baums. Er hob ihre Beine eng an ihre Brust und schob sie ganz in die Öffnung. Das
     Holz, noch verkohlt von demeinstigen Feuer, umgab sie wie eine große schwarze Muschel. Der Junge zwängte sich in den schmalen Raum neben ihr, während
     der Keiler und der Hirsch einander umkreisten, auf den Boden stampften und zornig schnaubten.
    Mit glühenden Augen täuschte der Keiler einen Angriff auf den Hirsch vor und stürmte dann direkt auf den Baum zu. Der Junge
     zog sich in die Höhlung zurück, so weit er konnte. Doch sein Gesicht blieb so dicht an der knorrigen Rinde der Öffnung, dass
     er noch den heißen Atem des Keilers spürte, als dessen Hauer wild auf den Stamm einhieben. Ein Zahn streifte das Gesicht des
     Jungen und riss ihm direkt unter dem Auge die Wange auf.
    In diesem Augenblick stieß der Hirsch in die Flanke des Keilers. Das massige Tier flog in die Luft und landete auf der Seite
     bei den Büschen. Blut drang aus seinem verletzten Schenkel, doch der Keiler rappelte sich wieder auf.
    Der Hirsch senkte den Kopf und war bereit für den nächsten Sprung. Der Keiler zögerte den Bruchteil einer Sekunde, dann knurrte
     er ein letztes Mal, bevor er sich zwischen die Bäume zurückzog.
    Mit majestätischer Gelassenheit wandte sich der Hirsch dem Jungen zu. Einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Der Junge
     wusste, dass er von diesem Tag nichts so deutlich im Gedächtnis behalten würde wie die unerschrockenen Augen des Hirsches,
     Augen wie bodenlose braune Teiche, tief und geheimnisvoll wie der Ozean.
    Dann sprang der Hirsch über die krummen Wurzeln der Eiche davon und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

TEIL EINS
    I
EIN LEBENDIGES AUGE 
    I ch stehe allein unter den Sternen.
    Der ganze Himmel geht in Flammen auf, als würde eine neue Sonne geboren. Menschen schreien und laufen auseinander. Aber ich
     stehe da, unfähig mich zu rühren, unfähig zu atmen. Dann sehe ich den Baum, dunkler als ein Schatten vor dem flammenden Himmel.
     Seine brennenden Äste winden sich wie tödliche Schlangen. Sie greifen nach mir. Die glühenden Äste kommen näher. Ich versuche
     zu fliehen, aber meine Beine sind aus Stein. Mein Gesicht brennt! Ich halte die Hand vor die Augen. Ich schreie.
    Mein Gesicht! Mein Gesicht verbrennt!
    Ich erwachte. Schweiß brannte in meinen Augen. Stroh von meinem Lager kratzte an meinem Gesicht.
    Blinzelnd holte ich tief Luft und wischte mir mit beiden Händen übers Gesicht. Sie waren kühl an meinen Wangen.
    Ich streckte die Arme und spürte wieder diesen Schmerz zwischen den Schulterblättern. Immer noch da! Ich wollte, er würde
     verschwinden. Warum plagte er mich jetzt noch, über fünf Jahre nach dem Tag, an dem ich an die Küste geschwemmt worden war?
     Meine Kopfwunden waren längst verheilt, obwohl ich mich immer noch nicht an mein Leben vor dem Erwachen auf den Felsen erinnern
     konnte. Warum sollte diese Wunde so viel länger bleiben? Ich zuckte die Schultern. Wie so vieles würde ich auch das nie erfahren.
    Ich fing an, loses Stroh in den Sack zurückzustopfen, als meine Finger eine Ameise aufdeckten; sie schleppte einen Wurm, der
     um ein Vielfaches größer war als sie. Belustigt schaute ich zu, wie die Ameise versuchte auf einen Miniaturberg aus Stroh
     zu klettern. Sie hätte ihn leicht auf der einen oder anderen Seite umgehen können. Aber nein. Irgendein geheimnisvoller Antrieb
     brachte sie dazu, hinaufzusteigen, worauf sie rückwärts hinunterfiel, es wieder versuchte und erneut fiel. Ich schaute minutenlang
     diesen unermüdlichen Anstrengungen zu.
    Endlich bekam ich Mitleid mit dem kleinen Kerl. Ich wollte ihn an einem
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