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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Autoren: Hammesfahr Petra
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zu machen. Aber er war durchtrainiert und kräftig, mit der Zeit verschaffte er sich Respekt und Ruhe.
    Die Nächte waren auch nach zehn, zwölf Jahren noch schlimm. Es verging kaum eine Nacht, in der er seine Frau nicht vor sich sah. Von Kurt Seifert wusste er, dass Heike schnell wieder geheiratet hatte. Einen Mann mit Vermögen, ihren Scheidungsanwalt. Und er musste sich zwangsläufig vorstellen, wie sie mit dem lebte, nun mit ihm in einem Bett schlief, ihn tagsüber in seinem Büro anrief, nur um ihm zu sagen, dass sie ihn liebe. Manchmal stellte er sich auch vor, dass sie das immer dann tat, wenn sie ihn gerade betrogen hatte. Viel half ihm das nicht.
    Doch tagsüber war alles überschaubar, der Tagesablauf, die Beziehungen zu Wärtern und Mitgefangenen. Niemand erwartete etwas Außergewöhnliches von ihm, und er erwartete nichts von den anderen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es so bis an sein Lebensende weitergehen können. Aber nach fünfzehn Jahren wurde er auf dem Gnadenweg entlassen. Kurt Seifert hatte sich dafür eingesetzt, und den zuständigen Leuten klargemacht, dass es damals alles andere als ein kaltblütiger Mord gewesen war. Bei jedem Besuch redete er auf ihn ein, ihm nur ja keinen Strich durch die Rechnung zu machen.
    Kurt war im Laufe der Jahre auf der Karriereleiter aufgestiegen bis zum Kriminaldirektor. Doch Merkel war für ihn immer noch der Bruder. Aber nicht mehr der große, starke, der auf dem Schulhof und der Straße die kräftigeren Jungs verprügelte, damit sie Kurt nicht hänselten. Nun hatten sie die Rollen vertauscht.
    Am Tag der Entlassung stand Kurt vor dem Tor bereit, um ihn in Empfang zu nehmen. «Fahren wir nach Hause, Hein», sagte er. «Agnes wartet schon mit einem richtigen Frühstück.»
    Die ersten Tage in Freiheit verbrachte er bei Kurt und Agnes, in dem Haus, in dem sie die sechs gemeinsamen Kinder- und Jugendjahre verbracht hatten. Und auch, wenn mit der Zeit fast alles umgebaut worden war, es wimmelte in den Zimmern nur so von Erinnerungen. Aber nicht nur deswegen war es ihm nicht recht. Er wollte niemandem zur Last fallen. Irgendwie störte es ihn, plötzlich wieder mit dem Vornamen angesprochen zu werden. Hein, daran war er nicht mehr gewöhnt. Hein, das klang immer nach Verpflichtungen. Merkel klang nach kargen Mauern, einem Gitter vor dem Fenster und einer verschlossenen Tür, die er nicht mehr öffnen wollte.
    Agnes nervte ihn mit ihren zarten Andeutungen. Mindestens dreimal täglich kam von ihr der Hinweis, dass er eine inzwischen dreiundzwanzigjährige Tochter hatte, die sich bestimmt freuen würde, ihn einmal wieder zu sehen. Ein lieber Mensch sei Irene und so tüchtig, behauptete Agnes, er könne stolz auf sie sein. Manchmal käme sie auf einen Kaffee vorbei.
    Merkel war nicht stolz, worauf denn auch? Was immer aus seiner Tochter geworden war, er hatte damit nichts zu tun gehabt, nichts dazu beigetragen. Er drängte darauf, dass Kurt ihm eine andere Unterkunft beschaffte, ehe seine Tochter mal auf einen Kaffee zu Agnes kam.
    Kurt fand binnen weniger Tage ein möbliertes Zimmer, nicht zu groß, nicht zu teuer, sparsam und zweckmäßig eingerichtet mit einem Schrank, einer Liege, die sich zum Bett umfunktionieren ließ, einem Tisch, zwei Stühlen und einem weiteren Schrank, in dem eine Miniküche untergebracht war. Dazu gehörte noch ein winziges Duschbad mit Toilette. Kurt meinte, es sei eine Übergangslösung. Aber Merkel fand, das Zimmer sei genau richtig für ihn. In den fünfzehn Jahren hatte er sich daran gewöhnt, auf engstem Raum zu leben. Mehr Platz, meinte er, hätte ihn nur nervös gemacht.
    Kurz darauf vermittelte Kurt ihm auch eine Arbeit. Es nannte sich hochtrabend Objektschutz und war im Grunde ein Posten als Nachtwächter. Aber dass ein auf dem Gnadenweg entlassener Mörder den Job bekam, war einzig der Tatsache zu verdanken, dass ein leibhaftiger Kriminaldirektor sich für ihn verbürgte.
    Der Verdienst war nicht üppig, doch für Merkel alleine reichte es. Er stellte keine Ansprüche mehr ans Leben, brauchte keinen Farbfernseher, nicht mal ein Radio und bestimmt kein Auto. Er hatte seit fünfzehn Jahren nicht mehr hinter einem Steuer gesessen. In der Zeit hatte sich auf den Straßen eine Menge verändert. In dem Gewühl war er mit einem Rad entschieden besser bedient. Auf einer Auktion erstand er für zehn Mark ein klappriges Damenrad, das er sich zurechtflickte. Dann fuhr er damit zur Arbeit – oder aus Gewohnheit zum Dienst.
    Im ersten
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