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Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Merkels Tochter. Sonderausgabe.

Titel: Merkels Tochter. Sonderausgabe.
Autoren: Hammesfahr Petra
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Küche betreten hätte. Hin zu ihr und neben ihr auf den Boden gekniet. Dann wären es vielleicht zwei Tote gewesen. Oder auch nicht! Ohloff mit seinen Kräften hätte das Weib vielleicht überwältigen können. Aber wenn man von hinten angegriffen wurde, einen Hammer auf den Kopf und Messer in den Rücken bekam.
Hätte! Wäre! Vielleicht! Solche Gedanken brachten nichts, man verfing sich nur darin, und am Ende kam wieder die Wut hoch.
Es war vorbei, auch wenn es für Merkel nie mehr ganz vorbei sein konnte. Sie hatte mehr hinterlassen als Friedels Villa, das Haus am Rosenweg und das Mietshaus. Da war noch der Karton mit ihren Briefen, all die Fotos von ihr, die Agnes vor langen Jahren gemacht hatte. All ihre Erklärungen, die seinen Kopf derart auffüllten, dass er manchmal dachte, er denke nur noch wie sie.
Und da war ihr Sohn, der sich einen Dreck darum kümmerte, dass sein Großvater mit Kindern nicht umgehen konnte, mit so kleinen schon gar nicht. Nannte ihn einfach Papa, das Kerlchen. Na ja, Opa würde er schon noch lernen, er war ja nicht dumm.
Während Agnes in der Küche Kaffee machte, lief der Kleine im Wohnzimmer herum, sammelte die Plastikwürfel vom Boden auf, die an einer Seite hohl waren und sich alle ineinander stecken ließen. Das versuchte er. Aber er brachte sie doch nicht alle in der richtigen Reihenfolge zusammen, kam zu Merkel, legte ihm die übrig gebliebenen Würfel in den Schoß und verlangte in seinem unverständlichen Kauderwelsch, dass er sie für ihn einsortierte. Und Merkel sah sie wieder vor sich, wie sie sich am letzten Dienstag in ihrer Küche nach den Würfeln gebückt hatte.
Agnes kam mit dem Kaffee ins Wohnzimmer, füllte die Tassen und verteilte Stücke vom Butterstreusel auf die Teller. Dann rief sie den Jungen, nahm ihn auf den Schoß und schob ihm ein Häppchen in den Mund. Merkel konnte kaum hinschauen.
«Kannst du mir den Kleinen morgen Nachmittag abnehmen, Hein?», fragte Agnes. «Ich muss zum Arzt, da möchte ich ihn nicht mitnehmen. Das wird ihm ja langweilig.»
«Und was soll ich mit ihm machen?», fragte Merkel.
«Geh mit ihm spazieren», schlug Agnes vor. «Ist doch schönes Wetter. Ich bring dir den Buggy mit.»
Nach dem Kaffee fuhr Merkel zum Friedhof. Das tat er nicht nur sonntags, auch in der Woche war er oft da. Dicht bei ihrem Grab stand eine Holzbank. Im milden Licht der späten Sonne war es ganz angenehm, dort zu sitzen und einen ihrer Briefe zu lesen. Er brachte jedes Mal einen mit und hatte manchmal das Gefühl, dass sie mit ihm sprach. Das Problem war nur, sie hatte auf keinen Briefbogen ein Datum geschrieben, und mit den Jahren waren sie in dem großen Schuhkarton wohl durcheinander geraten.
An dem Sonntag im September begann er nicht sofort zu lesen, erzählte ihr zuerst, dass ihr Sohn jetzt bei Kurt und Agnes aufwuchs, dass es ihm dort gut ging und dass er morgen mal mit ihm vorbeikäme. Und insgeheim befürchtete er, dass Agnes noch öfter auf den Gedanken käme, ihm den Kleinen aufs Auge zu drücken.
Dann las er ihren Brief, wieder kein Wort von Herrn Tommes. Er wusste immer noch nicht, wer das war. Agnes wusste es auch nicht, er hatte sie schon danach gefragt.
Aber vielleicht war das auch gar nicht mehr wichtig. Im Grunde zählte nur noch, dass sie wusste, wie wichtig sie ihm gewesen war. Und Agnes sagte, das hätte sie gewusst, die ganze Zeit.
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