Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mercy, Band 4: Befreit

Mercy, Band 4: Befreit

Titel: Mercy, Band 4: Befreit
Autoren: Ilse Rothfuss
Vom Netzwerk:
Lauren –, „wie es bereits im dunklen Verlies dieses Monsters hätte geschehen sollen.“
    Er lacht, als er sieht, wie alles Leben, alle Farbe aus Ryans Gesicht weicht.
    Dann wendet er sich mir zu. „Sobald wir den verfluchten Ort hier verlassen haben, kann mich niemand mehr aufhalten. Dann wird mir alles möglich sein. Alles. Wir waren so lange getrennt, meine Liebste. Sieh mich an. Nimm meine Hand.“
    Lucs Stimme ist dunkel und verführerisch, sodass ich fast vergesse, wo wir sind, und dass wir nicht mehr die beiden Liebenden sind, die eng umschlungen in einer Blütenlaube lagen und einander ewige Liebe schworen. Jetzt streckt er seine Hände nach mir aus, als lägen nicht Jahrhunderte zwischen uns, als haftete nicht das Blut so vieler Opfer daran.
    Entsetzt weiche ich vor ihm zurück, meine brennende Linke abwehrend erhoben, und schreie: „Azrael! Azrael!“
    Nur Ryans Keuchen ist zu hören, sein Todesröcheln. Luc hat die Zeit angehalten, damit ich Ryan sterben sehe und höre. Ryans Lebensenergie schwindet. Ich spüre es, wie damals im Dom. Das Licht in seinen Augen erlischt, er hat nicht einmal mehr die Kraft, mir zu sagen, dass er mich liebt, mir Lebewohl zu sagen.
    Wieder schreie ich, dass meine Stimme von den Wänden widerhallt: „Azrael! Ich weiß, dass du ihn willst! Er ist einer der deinen, du hast ihm dein Siegel aufgedrückt. Azrael!“
    „Was flehst du Azrael um Hilfe an? Seit wann ist es sein Geschäft, Gebete zu erhören und zu helfen?“
    Luc deutet auf Gudrun und auf die rothaarige Hakael mit den toten Augen neben ihr. „Haltet sie alle zurück“, befiehlt er ihnen. „Sobald ich mit ihr die Grenzen dieses viehischen Planeten überschritten habe, könnt ihr mit ihnen machen, was ihr wollt!“
    Doch in diesem Augenblick wirbelt ein Nebelgespenst, ein feiner Silberdunst, über den Boden, und schlingt sich um Lucs Knöchel. Luc springt zurück und flucht gotteslästerlich.
    Als Azrael sich zwischen uns materialisiert, wie üblich ganz in Schwarz, erbleicht Luc, denn der Tod hat selbst über den Teufel Macht. Der Tod ist eine Macht für sich.
    Ich falle neben Ryan auf den Boden und wiege seinen Kopf in meinen Händen, weine heiße Tränen der Erleichterung.
    „Gib ihn mir zurück“, bitte ich Azrael mit brüchiger Stimme, „denn es geht über meine Kräfte, eine tödliche Wunde zu heilen, die Luzifer selbst verursacht hat.“
    Azrael mustert mich prüfend mit seinen blauen Augen, die so klar wie der Taghimmel sind. „Wenn du die Wahl hättest, Schwester“, sagt er schließlich, „für wen würdest du dich entscheiden?“ Er nickt zu Luc, dann zu Michael. „Wählst du richtig, wird der Sterbliche leben, wählst du falsch, stirbt er. Es ist ein Spiel, wie alles Leben, und ich bin heute in Wettlaune.“
    „Warum lässt du mich wählen? Warum stellst du mir Rätsel, wenn mein Freund, der ein guter Mensch ist, im Sterben liegt?“, schluchze ich. „Er ist mein Liebster, und einen wie ihn werde ich nie wieder finden, in keinem Leben! Und doch verlangst du von mir, dass ich zwischen zwei Krieg führenden Mächten wählen soll, die nie ihren Frieden miteinander machen werden, bevor der andere nicht vollkommen vernichtet ist?“
    „Wähle!“, donnert Azrael mit hallender Stimme. „Und wähle klug, denn das Schicksal der ganzen Welt hängt von deiner Entscheidung ab. Obwohl deine Wahl von Anbeginn vorbestimmt war.“
    „Nichts ist vorbestimmt, nichts ist unabänderlich“, schluchze ich verzweifelt. „Warum soll Ryan sterben müssen, nur weil Luc mich einst aus dem Himmel geschleudert hat? Was hat die irdische mit der himmlischen Welt zu tun? Es sind doch getrennte Sphären, die nur von Zeit zu Zeit flüchtig aufeinandertreffen.“
    „Aber wir sind die höchsten Wesen der Schöpfung“, entgegnet Azrael. „Wurden wir nicht nach Gottes Willen erschaffen? Sind wir nicht Gottes Wille? Wie kann sich also dieser Sterbliche anmaßen, dich zu ‚wählen‘?“
    „Wir wurden gestaltet “, schluchze ich. „Wir sind Geschöpfe Gottes, reine Werkzeuge. Wir sind Seine Macht, so sinnlos und gerichtet wie jeder Sterbliche auf dieser Erde. Wir sind alle gleich …“ Ich kann vor lauter Schluchzen kaum weitersprechen. „Unter der Oberfläche sind wir alle gleich. Es gibt kein Schicksal, Azrael, nur Zufälle. Ich habe ein Jahrtausend lang als Mensch gelebt. Nichts ist vorbestimmt. Alles ist Chaos, und daraus musst du dein Leben gestalten. Du bist selbst für dein Schicksal verantwortlich. Du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher