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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne
Autoren: Arnaldur Indridason
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Kontakt gehabt. Pálmi wusste nur, dass dort sein hochbetagter Großvater lebte. Als die Tochter starb, kamen die Eltern, flogen nach zwei Tagen wieder zurück nach Dänemark und hinterließen das unangenehme Gefühl von Desinteresse und Übellaunigkeit.
    Pálmi hörte, wie leise an die Tür geklopft wurde. Er wusste, dass es Dagný sein musste. Sie war vor einigen Jahren mit ihren beiden Kindern nebenan eingezogen, und es war so etwas wie eine Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Dagný war schlank und nicht sehr groß. Sie arbeitete als Sekretärin bei der Staatlichen Krankenversicherung. Wenn Pálmi Lust hatte, sich etwas im Fernsehen anzusehen − was allerdings selten der Fall war −, konnte er jederzeit zu Dagný gehen, die sich über seine Gesellschaft freute. Sie hatte eine missglückte Ehe hinter sich und seitdem so viel Pech mit den Männern gehabt, dass sie jetzt, was das anging, am liebsten ihre Ruhe haben wollte. Eine kurze Bekanntschaft mit einem Großhandelskaufmann, der unentwegt an seinem Handy hing, sogar wenn sie miteinander schliefen, beendete sie durch einen Anruf. Ein anderer war Kinderpsychologe, der ihre Kinder nicht ausstehen konnte. Sie ließ ihm durch ihre Kinder ausrichten, dass sie ihn nicht mehr sehen wolle. Die Bekanntschaft mit Pálmi war eine willkommene Abwechslung, und die Kinder mochten ihn sehr.
    »War das dein Danni in den Nachrichten?«, fragte sie, als er ihr geöffnet hatte.
    »Ja«, sagte Pálmi und machte die Tür hinter ihr zu.
    »Was ist passiert?«
    »Ich weiß es eigentlich noch gar nicht. Mittags ist er wohl völlig durchgedreht und hat die ganze Klinik auf den Kopf gestellt. Es endete damit, dass er aus einem Fenster im obersten Stock sprang. Er war auf der Stelle tot.«
    »Der arme Danni.«
    »Ich weiß, dass er ab und zu solche Anwandlungen hatte, aber trotzdem ist das irgendwie seltsam.«
    »Selbstmord ist immer irgendwie seltsam.«
    »Ich weiß. Ich verstehe es trotzdem nicht. Daníel hat außerdem in den letzten Wochen öfter mal Besuch bekommen. Ich kenne aber niemanden, der Anlass dazu gehabt hätte. Und in der Klinik wusste keiner, wer das war.«
    »Niemand hat ihn nach seinem Namen gefragt?«
    »Nein. Allerdings habe ich noch nicht mit Jóhann gesprochen. Vielleicht kennt der ihn ja. Keiner weiß, worüber sie geredet haben. Einer der Aufseher meinte, dass sie über Lebertranpillen gesprochen hätten.«
    »Lebertranpillen?«
    »Er kann sich auch verhört haben.«
    »War er schon tot, als du kamst?«
    »Nein«, sagte Pálmi. »Er ist mir buchstäblich aus den Händen gesprungen. Ich hätte ihn wahrscheinlich sogar packen und festhalten können, wenn ich schneller reagiert hätte.« Er schwieg.
    »Wenn ich die ganzen Umstände richtig eingeschätzt hätte. Aber ich habe erst zu spät gemerkt, was los war, deshalb habe ich ins Leere gegriffen. Und dann lag er da unten auf der Treppe, und plötzlich war alles zu Ende. Ich kann das überhaupt noch nicht begreifen.«
    »Das ist wohl eine ganz normale Reaktion, dass man sich selbst die Schuld an so etwas gibt«, sagte Dagný und streichelte seine Wange. Sie standen immer noch im Flur. Ihre Beziehung war nie bis ins Schlafzimmer vorgedrungen, und sie waren beide zufrieden mit diesem Arrangement. »Er hat über die anderen geredet. Er wollte, dass ich mich nach irgendwelchen Leuten erkundige, die er die anderen nannte. Ich weiß nicht, wen er damit gemeint hat. Und er redete über das Paradies. Das war ja nichts Neues, aber dann sprach er von den anderen . Ich habe ihn noch nie so reden gehört.«
    »Was kann er damit gemeint haben?«
    »Und dann hat er noch etwas über seine Schule gesagt. Er redete ja ständig darüber, dass er aus dem Paradies vertrieben worden war und dass er versuchen müsste, wieder hineinzugelangen. Dann wäre alles wieder in Ordnung. Er würde wieder gesund werden. Jetzt hat er mir aber gesagt, ich solle nachforschen, woher die anderen kamen. Die anderen? An wen soll ich mich denn damit wenden?«
    »Was hat er genau gesagt?«
    »Es hat irgendwas mit der Schule zu tun. Daníel war an drei Schulen,« fügte er nachdenklich hinzu, »erst auf dem alten Gymnasium in der Stadtmitte, dann, ein Jahr lang, an einer Gesamtschule und vorher die ganze Zeit in der Víðigerði-Volksschule.«
    »Waren das alles nicht einfach nur Hirngespinste? Er hat doch so viele merkwürdige Dinge von sich gegeben.«
    »Er hat noch gesagt, dass wir jetzt der Sonne am nächsten stehen. Das war es, was er als Letztes
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