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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne
Autoren: Arnaldur Indridason
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sagte ein anderer Aufseher, der Elli genannt wurde.
    Pálmi wusste, dass das stimmte. Daníel hatte den Angestellten der Klinik, den Ärzten und dem Krankenpflegepersonal gerne vorgehalten, dass er schlecht behandelt würde. In regelmäßigen Abständen verlangte er, von einem neutralen Arzt untersucht zu werden. Da er nämlich nur eine sehr eingeschränkte Ausgeherlaubnis hatte, waren Arztbesuche eine willkommene Gelegenheit, aus der Klinik herauszukommen.
    »Weswegen war er so verändert?«, fragte Pálmi.
    »Danach musst du den Arzt fragen. Meiner Meinung nach hatte das mit diesem Mann zu tun, der ihn in letzter Zeit häufig besucht hat. Er war sehr viel älter als Danni. Sie saßen stundenlang da und haben sich unterhalten. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen, aber er bedeutete Danni etwas, so viel steht fest.«
    »Stimmt, warte mal. Wie hat Danni ihn noch genannt?«, versuchte eine Krankenschwester sich zu erinnern. Sie hieß Andrea, war klein und mollig und hatte einen freundlichen Gesichtsausdruck.
    »War es nicht Hilmar oder Haukur oder so was?«, sagte Elli. »Ich hatte keine Ahnung, worüber sie redeten. Irgendwann haben sie sich, glaube ich, über Lebertranpillen ziemlich aufgeregt. Ich bilde mir auf jeden Fall ein, das Wort Lebertranpillen öfter gehört zu haben. Aber ich kann mich auch täuschen, ich habe nicht vorsätzlich gelauscht«, sagte er fast entschuldigend, »ich kam nur gerade in der Cafeteria an ihrem Tisch vorbei.«
    »Wieso Lebertranpillen?«, fragte Pálmi. »Kriegen die Patienten hier Lebertranpillen?«
    »Nein, wo denkst du denn hin«, antwortete Andrea. »Das hier ist doch keine Kurklinik«, sagte sie und blickte in die Runde.
    »Abgesehen von mir und euch hat sich niemand um Daníel gekümmert. Ich verstehe nicht, wer ihn da besucht haben könnte«, sagte Pálmi nachdenklich. »Sind außer mir sonst noch andere Leute zu Besuch gekommen?«
    »Nein«, sagte Andrea, »nur der Typ in den letzten Wochen. Ich dachte, wir hätten dir davon erzählt.«
    »Ich höre das zum ersten Mal«, sagte Pálmi. »Wisst ihr denn wirklich nicht, wie dieser Mann hieß, oder wer das war?« »Ich kann mich einfach nicht so genau erinnern. Am besten redest du mit Jóhann«, sagte Andrea.
    Jóhann war der Aufseher, der am meisten mit Daníel zu tun gehabt hatte. Er hatte vor zehn Jahren in der Klinik angefangen, und im Lauf der Zeit war eine tiefe Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Pálmi war seit langem davon überzeugt, dass Jóhann wichtiger für Daníel war als alle Ärzte und Medikamente, mit denen er im Lauf seiner Krankengeschichte in Berührung gekommen war.
    »Wo ist Jóhann?«, fragte er.
    »Er hat vor gut einer Woche das Handtuch geworfen, nachdem er denen da oben in der Verwaltung ordentlich die Meinung gesagt hat«, erklärte Guðbjörn. »Ich glaube, sie haben ihn geschasst.«
    »Wieso ist er entlassen worden?«
    »Er stand schon seit langem auf Kriegsfuß mit der Klinikleitung«, sagte Andrea.
    »Man hat uns nie was Konkretes gesagt«, sagte Guðbjörn. »Aber Jóhann hatte sich schon seit langem mit der Verwaltung herumgestritten. Jetzt hat wohl irgendwas das Fass zum Überlaufen gebracht, und er hat das Handtuch geworfen. Er hatte diesen Saftladen satt. Die medizinische Versorgung wurde auf das absolute Minimum reduziert. Es gibt einfach zu wenig Pflegepersonal, und die meisten bleiben nicht lange hier. Die kennen hier nur eine Methode, nämlich die Patienten mit Medikamenten voll zu pumpen, um sie ruhig zu stellen. Darin besteht die ganze Behandlung. Früher, bevor dieses ganze Geschwafel über Kostenreduzierung anfing, war hier alles viel besser. Jóhann war vehement gegen diese Art von Einsparungen. Er nahm sich die Behandlung der Patienten mehr zu Herzen als wir anderen. Nur die allerschlimmsten Fälle sind jetzt noch hier, alle anderen wurden nach Hause geschickt, was natürlich furchtbar für die Angehörigen ist.«
    »Kann man auf diese Weise überhaupt eine psychiatrische Klinik führen?«, fragte Pálmi.
    »Hier ist alles möglich«, sagte Elli.
    »Eins ist mir an diesem Mann aufgefallen, der Danni besucht hat«, sagte Guðbjörn nachdenklich. »Obwohl, es war etwas ziemlich Albernes, das vielleicht gar keine Rolle spielt … Er kam ja immer donnerstags um dieselbe Tageszeit, so gegen fünf, und er hatte immer eine alte Mappe dabei. Aber ich habe nie gesehen, dass er sie aufgemacht hat. Er sah bleich aus und hatte kaum noch Haare. Was ich so albern fand, wenn ich darüber nachdenke,
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