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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder
Autoren: Herbert Renz-Polster
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»Erziehung = Betreuung + Liebe«! Im Umkehrschluss ist damit für unseren tapferen Mathe-Pädagogen der Fall klar: »Betreuung = Erziehung – Liebe«.
    Auf diesem Niveau spielt sich das Erziehungsgeschwätz ab. Wir haben gar keine andere Wahl, als in die Tiefe zu gehen und Erziehung noch einmal grundsätzlich zu betrachten!
    Von Kindern und Katzen
    Wir Großen bringen den Kleinen die Tricks des Lebens bei – das ist das gängige Modell von Erziehung. Wir »ziehen« sie, als Lehrer, als Motivierer – und natürlich als Vor-Bilder. Die Kleinen sind Passive, Beförderte, Belehrte, ja, Beschenkte. Das Modell gibt es in mehreren Ausführungen: in einer etwas älteren, autoritären Fassung (Erziehung ist da vor allem Zurichtung, Drill und Züchtigung) oder in moderner, pädagogisch-didaktischer Ausstattung – zentrale Anliegen sind hier Förderung und Bildung.
    Entspricht das nicht dem, was wir aus der Natur kennen? Nehmen wir nur die Katzen. Die Mutter ist Vorbild und sie erzieht – und wie! Und auch sie macht es einmal in einer weicheren Version, mit viel Schnurren und Schlecken, ein andermal mit dem Austeilen von Tatzen. Und die Kleinen lernen dabei wie am Schnürchen!
    Das Problem ist nur: Das Katzenmodell taugt lediglich für die Katze. Die Katze nämlich wird in ihrem Leben immer nur ihre Mäuse fangen. Das Menschenkind aber wird in seinem Leben – ja, was denn?
    Genau darin liegt die Krux: Das eine Kind wird in der gemüsefreien Arktis klarkommen müssen, das andere in fruchtbehangenen Tropenwäldern. Das eine – nennen wir es Papageno – wird dort vielleicht Vögel fangen. Das andere – Aurelia – wird nach Gold graben. Eines wird von einer Schamanin erzogen werden und später trotzdem Holzfäller werden. Ein anderes wird bei einem
Holzfäller aufwachsen und später Theologie studieren wollen. Das dritte wird die Schule abbrechen, als Taxifahrer jobben und später Bundesaußenminister werden. Oder, um es mit einem Blick in die Zukunft zu veranschaulichen: Während unsere Katze auch noch in 500 Jahren vor ihrem Mauseloch hocken wird, können wir uns nicht einmal vorstellen, wie Menschen in 500 Jahren leben werden, oder?
    Da haben wir den Salat. Was der Katze gut ansteht (nämlich ein Abziehbild der Eltern zu sein), wäre für das Menschenkind eine Katastrophe . Eine Behinderung fürs Leben! Erziehung beim Menschen muss mehr sein als die Übergabe von vorhandenem, von anderen angesammeltem Wissen. Hätten Kinder immer nur das gelernt, was ihre Eltern können, hätte die Menschheit womöglich nie das Feuer gezähmt. Vom Internet ganz zu schweigen.
    Der Weg der Kinder
    Tatsächlich kann die intelligenteste und sozialste aller Arten nur überleben, indem sie sich immer wieder neu erfindet. 16
    Und das scheint besonders einem Menschenschlag aufgetragen zu sein: Kindern und Jugendlichen. Mehr als alle anderen Menschen sind sie dafür gerüstet, sich all das zusammenzusuchen, was es für das Beschreiten neuer Wege braucht.
    Da wundert nicht, dass in keiner Lebensphase mehr »neues Wissen« gebildet wird als im Kindes – und Jugendalter. Nie ist das Potenzial für Innovation höher als vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter. Auch die unser jetziges Zeitalter prägenden digitalen, musikalischen und sozialen Veränderungen wurden allesamt von Jugendlichen losgetreten: Facebook wurde von einem Minderjährigen gegründet. Bill Gates war schon mit 14 Besitzer seiner ersten Software-Firma. Die Beatles kaum älter, als sie ihren neuen Stil mischten. Und von woher sie die neuen Ideen und Melodien auch hatten – sie stammten ganz sicher nicht von ihren Eltern.

    Erziehung beim Homo sapiens ist also nicht nur etwas, was Erwachsene an den Kindern tun, sie ist auch etwas, was Kinder mit sich selbst machen – ein Eigenlernen, eine Eigenerziehung. Lebenswissen fließt nicht nur von oben nach unten, es steigt genauso gut auf. Jedes Kind dieser Erde kann über seine Eltern hinauswachsen!
    Und darin liegt, wenn Sie mich fragen, eine große Hoffnung. Denn niemand kann leugnen, dass wir Erwachsenen die Erde in keinen guten Zustand gebracht haben. Jedes Jahr wird der Bestand der Arten auf unserem Planeten kleiner. Jedes Jahr wird ein weiterer Teil der für unser aller Existenz unabdingbaren Urwälder gerodet. Jahr für Jahr steigen die Durchschnittstemperaturen der Erde näher an einen lebenswidrigen Bereich. Wir verseuchen die Atmosphäre mit den radioaktiven Produkten von Atommeilern, an deren hundertprozentiger Sicherheit der
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