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Menschenkinder

Menschenkinder

Titel: Menschenkinder
Autoren: Herbert Renz-Polster
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Kinder auf ganz neue Art lernen, arbeiten und leben werden, brauchen sie dieses Fundament umso dringender. Gerade weil sie sich kognitiv so weit strecken müssen, brauchen sie das freie Spiel. Gerade weil sie so sehr auf sich gestellt sein werden, brauchen sie die Erfahrungen in der Gruppe. Gerade weil sie in einer hoch zivilisierten Welt leben und ihre Gesundheit erhalten müssen, brauchen sie eine »wilde« Kindheit.
    Die evolutionären Prägungen sind keine Verordnungen. Aber, das ist meine feste Überzeugung, sie geben einen Rahmen für die Erziehung vor. Verlassen wir diesen Rahmen, so fallen zwangsläufig Kosten an. Mögliche Nachteile für die körperliche, seelische oder soziale Entwicklung. Wir sollten sie kennen.
    Beispiele sind uns in diesem Buch viele begegnet: Sollen Kinder in altersgemischten Gruppen aufwachsen oder nur mit Kindern auf gleichem Entwicklungsstand? Was sind die Vorteile, was die Kosten? Sollen wir die Kinder durch spezielle Kurse fördern – oder auf die Entwicklungsförderung des Spiels vertrauen? Brauchen Kinder mehr Grenzen oder brauchen sie mehr Freiheit – oder, vielleicht, die richtige Balance von beidem?
    Das Fundament des Zusammenlebens
    Auch für uns als Gesellschaft ist die »Tiefenstruktur« der kindlichen Entwicklung kein alter Hut. Im Gegenteil. Die Frage nach den artgerechten Bedingungen ist vielleicht unser wichtigster Aktivposten für die Zukunft. Wollen wir bei den neuen Wegen, die wir als Gesellschaft gehen, nicht im Abgrund landen, so brauchen wir einen Blick auf unser evolutionäres Fundament. Wir haben diesen Blick viel zu lange vernachlässigt.
    Um das zu erklären, will ich bewusst kurz wegschwenken vom Thema »Erziehung«, ja sogar weg von den Kindern. Wir leben als Homo sapiens ein auf wechselseitige Abhängigkeiten gegründetes Leben – nicht nur innerhalb unserer Art, sondern auch in Bezug auf andere Arten: Sterben die Bienen aus, wer bestäubt unsere Garten – und Feldfrüchte?
    Hinter uns liegt eine historische Phase, in der wir diese gegenseitige Abhängigkeit, dieses Eingebundensein wenig wahrgenommen haben. Die Erde war riesig. Sie war reich, reich im Überfluss – reich an Arten, sauberer Luft, sauberem Wasser, wertvollen Bodenschätzen. Wenn es Probleme gab, ließen sie sich mit immer wirksameren technischen Mitteln lösen. Wurde das Wasser schmutzig, konnten wir immer ein Stück weiter stromaufwärts ziehen. Heute leben wir alle – im übertragenen Sinn – stromabwärts. Jeder Stoff, den wir freisetzen, landet irgendwann wieder vor unserer Tür. Jeder Baum, den wir nicht neu pflanzen, kann das Gleichgewicht verschieben. Wir sind jetzt an unseren Grenzen angelangt. Unsere Wirkungen fallen immer rascher auf uns zurück. Wir werden umdenken müssen, so viel ist sicher.
    Und dazu werden wir als Art, als Gesellschaft, als Gruppe wieder besser zusammenarbeiten müssen. Und das führt uns wieder zurück zu unseren Kindern und zu ihrer Erziehung. Denn dieses Zusammenarbeiten ist seit der Steinzeit in uns angelegt. Soziale Kompetenz war über die längsten Strecken der menschlichen Stammesgeschichte die Grundvoraussetzung einer gelungenen Entwicklung. Sie ist heute so entscheidend wie zu Zeiten, als noch
Hyänen um das Lager schlichen und gemeinsam abgewehrt werden mussten. Dasselbe gilt für unsere Fähigkeit, uns in andere hineinzuversetzen, ihre Motive und Gefühle zu verstehen – auch das eine bei Homo sapiens tiefgründiger als bei jeder anderen Art angelegte Fähigkeit.
    Nein, wir müssen es nicht genauso machen wie die Menschen damals. Wir brauchen unsere eigenen Visionen. Aber wir werden dafür die gleichen Fähigkeiten brauchen, wie sie die Kinder auf ihrem Weg durch die Menschheitsgeschichte entwickelt haben.
    Wir können nur hoffen, dass unsere Kinder in der Lage sein werden, diesen Schatz immer wieder neu zu entdecken.
    Danksagung
    »Langeweile wird durch Neugierde geheilt. Für Neugierde gibt es keine Heilung.«
    DOROTHY PARKER

    Wir Erwachsene haben uns daran gewöhnt, immer neue Geschichten über Kinder zu erfinden. Was sie wollen, was sie brauchen, wer sie sind. Dabei haben unsere Kinder selbst eine Geschichte zu erzählen, eine unglaublich spannende Geschichte. Dieses Buch handelt davon. Dass ich dieser Geschichte zuhören durfte, habe ich zunächst einmal meinen Kindern zu verdanken: Simon, Johannes, Judith und Aaron.
    Und es gibt noch ein paar andere – nein, viele – Leute, die mich bei diesem Buch getragen und beflügelt haben. Vor
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